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Probiotische Lebensmittel: Helfer für den Darm?

Helfer für den Darm_probiotische LebensmittelDer Nutzen von probiotische Lebensmittel ist umstritten. Probiotische Milchprodukte werden immer beliebter. Sie sollen gesund und fit machen, das Immunsystem stärken und sogar Krebs verhindern. Doch Experten warnen: Probiotika können durchaus nützlich sein, aber eine ungesunde Ernährung können sie nicht ausgleichen.

Wer sich früher gesund ernähren wollte, der hat regelmäßig Joghurt gegessen. Doch heute scheint diese erwiesen vernünftige Art von Nahrung längst wieder out zu sein. Will man fit, gestärkt und gesund durch das Leben gehen, muss man im Kühlregal des Supermarktes nicht mehr zu normalen Milchprodukten greifen, sondern zu den so genannten probiotischen, die spezielle Milchsäurebakterien enthalten. Das zumindest suggerieren die Hersteller, die ihre probiotischen Produkte – meist Milchprodukte, aber auch Säfte, Müslis oder Wurst – als täglichen Beitrag zur Gesundheit anpreisen. Schon allein der Name soll für Qualität stehen: Probiotisch leitet sich vom griechischen "pro bios" ab und bedeutet "für das Leben". Fermentierte – also durch Gärung haltbar gemachte – Milchprodukte gelten schon lange als besonders gesundheitsfördernd. Vor hundert Jahren fiel dem russischen Biologen Ilja Metschnikoff auf, dass in Bulgarien und im Kaukasus einige Volksstämme eine sehr hohe Lebenserwartung hatten. Er führte dies auf ihre Tradition zurück, besonders viel Joghurt zu essen. Denn die darin enthaltenen Milchsäurebakterien vertreiben im Darm krankheits- und fäulniserregende Keime.

Zucht-Bakterien

Inzwischen können spezielle Milchsäurebakterien im Joghurt von der LebensmitteIindustrie gezüchtet werden. Dem ohnehin schon guten Joghurt werden also noch bessere Bakterien hinzugefügt — und fertig ist das Wundermittel. Das könnte man zumindest meinen, wenn man manchen Werbesprüchen Glauben schenkt. Darmkrebs, Durchfall, Verstopfung — gegen alles scheint neuerdings ein probiotisches Kraut gewachsen zu sein.
Doch Ernährungswissenschafter sind mit ihrer Beurteilung wesentlich zurückhaltender. "Für Langzeitstudien sind die Produkte noch zu jung", sagt Mag. Walpurga Weiß von der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung. Viele der von den Herstellern durchgeführten Experimente seien außerdem nur im Reagenzglas oder als Tierversuch gemacht worden. Die Ergebnisse könne man zur Zeit nur begrenzt auf den Menschen übertragen.


Folgende Effekte von probiotischen Lebensmitteln sind bereits durch Studien belegt worden:

  • Durchfallerkrankungen treten seltener auf. Und wenn es einen doch erwischt, dauert es nicht so lange.
  • Die Konzentration gesundheitsschädlicher und krebsfördernder Stoffe im Dickdarm wird gesenkt. Das vermindert Entstehung und Wachstum von krebserregenden Verbindungen im Darm. Damit ist aber nicht erwiesen, dass Krebserkrankungen durch Milchsäurebakterien tatsächlich verhindert werden können.
  • Das Immunsystem wird beeinflusst. Allerdings kennt man die genauen Mechanismen noch nicht.
  • Probiotische Produkte steigern die Verträglichkeit von Milchzucker, den viele Menschen aufgrund eines Enzymmangels nicht abbauen können.

Kein Ersatz

Eine Rechnung, die so mancher Ernährungs-Muffel macht, geht allerdings keinesfalls auf: Permanentes Sündigen beim Essen durch ein paar probiotische Drinks ausgleichen zu wollen. "Probiotische Lebensmittel sind auf keinen Fall ein Ersatz für eine gesunde, vollwertige Ernährung. Sie können nur ein Mosaikstein im Gesamtbild einer gesunden Ernährung sein", warnt Ernährungswissenschaftlerin Weiß. Wer Probiotika in seine Ernährung einbauen möchte, sollte sie dann allerdings auch jeden Tag zu sich nehmen. Sonst bleibt die Wirkung aus.

Birgit Baumann

April 2006


Foto: OÖGKK


Schutzschild aus Bakterien

Der Darm nimmt nicht nur Nahrung auf und scheidet sie wieder aus. Er hat auch große Bedeutung für unser Immunsystem. Eine gesunde Darmflora ist Voraussetzung dafür, dass sich schädliche Bakterien schlecht vermehren und nicht vom Darm auf andere Schleimhäute übertragen werden. Mit gesunder Ernährung kann man dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Doch dafür müssen die richtigen und nützlichen Bakterien erst einmal lebend in den Dickdarm gelangen – und nicht schon auf ihrem Weg dorthin durch Magen- und Gallensäfte zerstört werden. Diese Robustheit haben eben gezüchtete probiotische Bakterienstämme. Sie gelangen leichter als andere in den Dickdarm, setzen sich dort an der Darmschleimwand fest und verdrängen schädliche Bakterien. Bei regelmäßigem Konsum von probiotischem Joghurt bildet man also ein Schutzschild im Darm.

Auch Sauerkraut wirkt

Auch ohne probiotische Lebensmittel kann man sich gesund ernähren und für eine ausgeglichene Darmflora sorgen, etwa durch regelmäßigen Konsum von ganz normalen – und meist günstigeren – milchsauren Produkten wie Naturjoghurts, Dickmilch, Kefir oder Buttermilch. Diese enthalten ebenfalls Milchsäurebakterien, die sich im Darm gesundheitsfördernd auswirken. Das gleiche gilt für Sauerkraut. Auch Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte sowie Obst und Gemüse beeinflussen die Darmflora positiv. Für das Essverhalten gilt: Es ist besser, an einem Tag fünf kleinere als drei üppige Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Außerdem sollte man vor allem frische Lebensmittel aus der Region auf den Speiseplan setzen.

Kommentar

Kommentarbild Dr. Mag. Walpurga Weiß Probiotische Lebensmittel_Helfer für den Darm FG 5/2004"Probiotika können die schädlichen Wirkungen einer überwiegend fett- und eiweißreichen Ernährung nicht auffangen, sondern allenfalls ein Mosaikstein im Gesamtbild einer gesunden Ernährung sein. Sinnvoller ist es, die gesamte Kost auf eine vollwertige Ernährung umzustellen. Gesundsein steht und fällt nie mit der Wahl eines einzelnen Lebensmittels."
Mag. Walpurga Weiß
Ernährungswissenschaftlerin Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Wien




Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020