DRUCKEN
Mann hält die Hand vom Kind

Wenn Mutter oder Vater psychisch krank sind

Depressionen, Sucht oder Persönlichkeitsstörungen wirken sich auf die ganze Familie aus. Wenn Mütter oder Väter an einer psychischen Erkrankung leiden, betrifft das auch ihre Kinder.

Ist ein psychisch kranker Mensch zugleich auch Mutter oder Vater, gesellen sich zu den gesundheitlichen auch vielerlei soziale Probleme. Schnell taucht die Frage auf, ob Eltern mit psychischen Erkrankungen überhaupt für ihre Kinder sorgen können, ob sie ihnen die Stabilität, den Halt und die Erziehung bieten können, die diese brauchen. Denn Kranke sind häufig mit dem Leben überfordert und nur eingeschränkt leistungsfähig. Aus Angst die Kinder zu verlieren, zögern Betroffene mitunter, sich um professionelle Hilfe zu bemühen und versuchen, ihre Erkrankung zu verheimlichen.

Kinder werden einerseits schnell zur Last, sind gleichzeitig aber oft auch einziger Ankerpunkt - also Halt und Stütze - der kranken Eltern. Die Rollen von Eltern und Kindern verkehren sich mitunter ins Gegenteil. Nicht selten werden Kinder in die Elternrolle gezwungen, in der sie sich um das Wohl und die Betreuung von Mutter, Vater oder auch Geschwister zu sorgen haben. Auch seelisch dient ein Kind dann oft als Stütze, wenn der betroffene Elternteil seine Sorgen und seine seelische Last bei ihm ablädt, da er keinen anderen Ansprechpartner hat oder zulässt.

Auch die Kinder leiden

Eine psychische Erkrankung hat also nicht nur für den Betroffenen Folgen, sondern auch für sein Umfeld, vor allem für die Kinder. „Diese leiden an der Situation. Sie können nicht verstehen, warum ihre Eltern anders sind als andere Erwachsene“, weiß Oberarzt Dr. Till Preißler, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Landes-Frauen- und Kinderklinik Linz.

Kinder verstehen in der Regel nicht, warum Mutter oder Vater oft tagelang im Bett liegen, nicht ansprechbar sind, sich einschließen und abkapseln, sich mitunter „seltsam“, oder auch aggressiv und abweisend verhalten, mitunter auch an Wahnvorstellungen leiden. Das Verhalten des erkrankten Elternteils ist zudem oft unberechenbar. Dieser ist in seinem Verhalten wenig stabil und Stimmungsschwankungen sind unvorhersehbar und abrupt.

Kinder gesundheitlich gefährdet

Kinder imitieren in der Regel das Verhalten der Eltern. Kinder eines erkrankten Elternteils laufen Gefahr, selbst Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln. Sind beide Eltern psychisch krank, besteht für deren Kinder sogar ein großes Risiko, selbst psychisch zu erkranken. „Die Wahrscheinlichkeit liegt bei deutlich über 50 Prozent. Jedes Kind hat aber seine eigene Persönlichkeitsstruktur, es gibt daher kein erkennbares Muster, welches Leiden sich bei einem Kind konkret entwickeln wird und ob es dieselbe Erkrankung sein wird wie bei den Eltern“, so Preißler.

Wie Kinder reagieren

Jüngere Kinder können die Situation nicht einordnen und beurteilen. Diese ist wie sie ist. Sie spüren nur sehr unspezifisch, dass etwas nicht stimmt. Ältere Kinder dagegen wissen, dass das vermeintlich Normale sich von der Alltagssituation in anderen Familien unterscheidet. Sie reagieren auf diese Erkenntnis sehr unterschiedlich.

Geht es den Eltern nicht gut, entwickeln die Kinder häufig Schuldgefühle. Sie befürchten, dass sie vielleicht schuld an den Zuständen sein könnten. Verschlimmert wird dieser Zustand vor allem dadurch, wenn es keinen offenen Umgang mit der Erkrankung gibt, wenn geschwiegen statt gesprochen wird, wenn die Kinder keine Erklärungen bekommen. Im schlimmsten Fall müssen sie die psychische Erkrankung oder Störung der Eltern als eine Art Familiengeheimnis wahren. Sie tragen dann diese Bürde ganz allein und sind ohne Ansprechpartner.

Weitere häufige Reaktionsmöglichkeiten:

  • Aggression,
  • Flucht,
  • Regression (innerer und äußerer Rückzug, in seiner schlimmsten Ausformung als Depression),
  • Scham: Sie schämen sich für ihre Eltern, denn deren Verhalten macht die Kinder häufig zu Außenseitern.
  • Spaltung: Die Kinder sehen ihre Eltern nicht mehr als eigene Eltern an.

Fingerspitzengefühl gefordert

Gespräche mit einem Kind über die Erkrankung der Eltern/des Elternteils sind sehr wichtig. Das Kind sollte dabei erleben, dass der Gesprächspartner Wertschätzung gegenüber dem Kranken hat. „Wichtig ist auch, dass man die Probleme des Erkrankten erklärt, aber auch auf seine Stärken und positiven Seiten hinweist. Zudem sollte man Hilfsszenarien besprechen, sollte akute Hilfe nötig werden. Etwa, wo das Kind rasch Hilfe bekommt, ihm Telefonnummern zur Hand geben etc. Kinder sind sehr dankbar, wenn man sie ernst nimmt und ihr Leid sieht. Sie sind verschüchtert und trauen sich in der Regel nicht, von sich aus über ihre Eltern zu sprechen“, weiß Preißler.

Ein offenes und positives Gespräch bedeutet für das Kind oft eine enorme Erleichterung. Um ein solches Gespräch anzubahnen, bedarf es Fingerspitzengefühl. Man sollte ein konkretes Gespräch jetzt und hier anbieten und nicht sagen: „Wenn du einmal Hilfe brauchst, dann melde dich bei mir.“ Ein Gespräch sollte jedoch niemals aufgezwungen werden. Das Kind muss bereit sein, mit der Person zu sprechen, ansonsten wird aus einer beabsichtigten Unterstützung ein weiterer Akt der Frustration des Kindes, das das Gespräch in Abwehrhaltung hinnehmen wird.

Ist das Kind zum Gespräch bereit, sollte man es nicht drängen, über etwas Bestimmtes zu sprechen, das es nicht will. Interessiertes und wohlwollendes Zuhören ist ebenso wichtig wie Aufmerksamkeit schenken und verlässliche Ansprechperson zu sein.

Psychiater Preißler: „Wichtig ist, dass man als Ansprechpartner des Kindes den kranken Angehörigen akzeptiert und als Mensch wertschätzt. Das kann zwar eine große Herausforderung sein, aber man muss sich im Klaren sein, dass ein Kranker kein Mensch zweiter Klasse ist. Wenn man eine positive Einstellung hat, wird auch das Kind einem offener begegnen und man kann dann konstruktiv sprechen. Die innere Einstellung ist das Entscheidende. Wer dagegen denkt, der Betroffene ist ja nur ein Alkoholiker, der schafft nichts in seinem Leben, der sollte mit dem Kind besser nicht sprechen. Der Schlüssel zum Wohl des Kindes ist also in jedem Fall ein Erwachsener.“

Botschaften an betroffene Kinder

In Gesprächen sollte man bestimmte positive Botschaften vermitteln:

  • Du bist nicht schuld. Du bist nicht verantwortlich für das Leid des Vaters/der Mutter.
  • Du musst dich nicht schämen.
  • Du kannst deinen Vater oder deine Mutter nicht heilen. Dazu braucht es professionelle Hilfe.
  • Viele andere Eltern haben ähnliche Probleme wie die Deinen. Ihren Kindern geht es genau so wie dir. Du bist nicht allein.
  • Du darfst auch wütend oder traurig sein. Du darfst deine Gefühle zeigen und mitteilen.
  • Achte auf deine Gefühle und sprich über sie.
  • Achte auf deine Bedürfnisse (z.B. Freunde, Hobbys, Ruhebedürfnis).
  • Ersuche verlässliche Personen um Unterstützung und Hilfe.

Enttabuisierung nötig

Psychisches Leid wird immer noch nicht als gleichwertige Erkrankung gesehen wie ein körperliches Gebrechen. Es wird häufig tabuisiert oder gar abgewertet. Das macht es Betroffenen schwer, professionelle Hilfe zu suchen. „Es gibt keinen Grund, eine Magenentzündung als Erkrankung zu akzeptieren, eine schwere Depression aber nicht. Auch für die Kinder hat diese Situation negative Auswirkungen, denn aus der Sicht der Kinder haben die Eltern also etwas, was die Gesellschaft nicht akzeptiert“, so Preißler.

Professionelle Hilfe ist wichtig

Psychische Störungen und Erkrankungen sind in der Regel gut behandelbar. Professionelle Therapien werden von Ärzten (Psychiater) und/oder Psychotherapeuten durchgeführt. Auch ist es nötig, mögliche körperliche Ursachen für das Leiden auszuschließen. Therapiert wird in der Regel mittels Medikamenten und/oder Psychotherapie (Gespräche).

Auch Kinder benötigen professionelle Hilfe, wenn sie psychisch erkrankt sind oder zu erkranken drohen. „Wichtig ist es, frühzeitig zu erkennen, wenn Kinder psychisch auffällig werden. Es bedarf also einer gewissen Hellhörigkeit des sozialen Umfeldes und vor allem ein gesellschaftliches Verständnis für diese Problematik. Bei Beidem besteht nach wie vor großer Aufholbedarf. Das Wichtigste für Kinder betroffener Eltern ist aber das Verstehen und Akzeptieren der Eltern. Die Gesellschaft muss verstehen, dass eine psychische Erkrankung eine echte Erkrankung ist“, appelliert Oberarzt Preißler.


Seit 1.1.2018 bietet pro mente OÖ durch die Maßnahme ELCO/KICO – Elterncoaching/Kindercoaching ein entsprechendes Beratungs- und Unterstützungsangebot für Kinder und Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil an.

Nähere Informationen hierzu finden Sie unter https://www.pmooe.at/unser-angebot/elco-kico/



Dr. Thomas Hartl
Mai 2019


Foto: shutterstock


Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020