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Mutige Memmen: Männliche Wehleidigkeit

Mutige Memmen - Männliche WehleidigkeitWehleidigkeit als typische männliche Eigenschaft? Wenn schon leiden, dann richtig! Denn geben wir Mannsbilder erst mal zu, dass uns was weh tut, wollen wir bedauert und getätschelt werden. Frauen mögen zwar früher Schmerzen spüren, die Masche mit dem Mitleid haben sie aber nicht drauf.

 

Es war schon eine gute Zeit, als ich mir beim Mountainbiken die Schulter verletzt hatte. Ich kriegte mein Frühstückshonigbrot gestrichen, die Schuhbänder geschnürt, das Hemd angezogen. Klar, mit nur einem funktionstüchtigen Arm braucht der siechende Mann die helfende Hand der Freundin. Und als Krönung der Angelegenheit zärtliches Einseifen in der Dusche. Wenn dagegen mal meine Liebste leidet, wird ihr Gesicht zur steinernen Maske und vergräbt sich in einem Berg aus Decken. Zärtliche Umhätschelungsversuche werden mit umgehendem Anpfauchen geahndet. Dabei kann Leiden auch Spaß machen. Männer wissen das. Aber sind wir deshalb gleich wehleidiger?

Männer halten mehr aus

Wissenschaftler der Uni Mainz haben dreizehn Methoden entwickelt, um zu testen, wem was wie schnell weh tut. Das Ergebnis: Egal ob gestochen, gezwickt, gedrückt oder unter Strom gesetzt – Frauen schreien früher „Au!“ als Männer. Zudem können laut der Mainzer Untersuchung Männer Schmerzen deutlich länger ertragen. Ist eine Frau im Raum, quälen sich männliche Testpersonen gleich doppelt so lange.

 

Die biologischen Gründe für die höhere Schmerztoleranz von Männern sind nicht gänzlich erforscht. Sicher ist, dass Männer eine buchstäblich dickere Haut haben, die Schmerz nicht so schnell weiterleitet. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau müssen deshalb „in der Praxis auch in die Schmerzmitteldosierung viel stärker einbezogen werden“, sagt Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Kress, der Vorstand der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am AKH Wien. Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen auf das Körpergewicht umgerechnet 30 Prozent mehr Medikamente benötigen, um schmerzfrei zu sein. „Einige Unterschiede können mit dem Hormonsystem erklärt werden“, so Professor Kress. Das männliche Sexualhormon Testosteron wirkt dämpfend, während Östrogene die Weiterleitung schmerzhafter Impulse verstärken. Nur während einer Geburt lässt das Hormon Progesteron die Schmerzschwelle deutlich ansteigen. Genau das ist der Grundstein für die Legende, dass Frauen ja viel mehr Schmerzen ertragen. Und uns Männern den Ruf der wehleidigen Memmen einträgt.

Vorurteil Wehleidigkeit

Was glauben Sie, was laut dem deutschen Jahrbuch für Demoskopie an der Spitze der „typisch männlichen“ Eigenschaften steht? 63 Prozent der Frauen sagen: Wehleidigkeit“. Geht es allerdings um den einen konkreten Mann, zeigt sich, dass wir (fast) Helden sind. Nur 29 Prozent der Frauen beschreiben ihren Partner als wehleidig. Das mag damit zu tun haben, dass wir Männer erst mal so tun, als könne uns rein gar nichts umhauen. Da wird trotz Grippe weitergearbeitet und der harte Mann rausgehängt. Frauen sind cleverer. Sie sprechen über ihre Beschwerden und suchen früher medizinische Hilfe. Männer versuchen es mit Ignorieren. Wenn das nicht mehr hilft, wird bedingungslos auf das Krankheitsprogramm umgeschaltet. „Dann fordern Männer viel nachdrücklicher als Frauen die besten Behandlungsmethoden ein“, wie Prof. Kress bestätigt. Und bekommen sie auch: „Studien zeigen, dass Ärzte häufig die Schmerzen von Männern eher ernst nehmen als die von Frauen und sie daher entsprechend besser behandeln.“

Anderer Umgang

„Männer streichen gerne den Krankheitsgewinn ein“, gibt Prof. Elmar Brähler, der Leiter der medizinischen Psychologie an der Uni Leipzig, zu. Wir haben es gerne, wenn wir unser Lieblingsessen bekommen und die unumschränkte Herrschaft über die Fernbedienung. Männer gehen anders mit Schmerz um. Sie verarbeiten ihn zum Großteil über das analytische Zentrum der Hirnrinde, konzentrieren sich also auf den Schmerz selbst, während beim weiblichen Gehirn das limbische System, der Sitz der Gefühle, aktiv ist. Frauen fokussieren die emotionalen Aspekte des Schmerzes. Die sind meist negativ, wodurch auch das Schmerzempfinden steigt.

Winnetou ist schuld

Ich glaube ja, dass uns die Winnetou-Filme zu mutigen Memmen gemacht haben. Da werden ohne Wimpernzucken Handflächen im Namen der Blutsbrüderschaft aufgeschlitzt, dass es eine Freude ist. Aber hat erst einmal eine Kugel den Helden auf das Bärenfell gestreckt, kann er sich sicher sein, dass das Tipi aufgeht und eine rehäugige Squaw hereinhuscht, die ihm die Wunde tupft und auch sonst recht hingebungsvoll ist. Und ja, wir Männer mögen das!

 

Fritz Kalteis
September 2008

Foto: © Siegfried Fries / pixelio.de, privat

Kommentar

Mutige Memmen: Männliche Wehleidigkeit„Internationale Studien haben belegt, dass Frauen eine niedrigere Schmerzschwelle haben, sie können Schmerzarten auch besser unterscheiden als Männer.“
Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Kress
Vorstand der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am AKH Wien

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020