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Spielsucht: Wetten, dass ...?

Wetten dassWas als harmloser Nervenkitzel beginnt, kann oft im finanziellen Ruin enden. Gesellschaftlich geduldet, ist es doch ein Suchtverhalten, das einer Therapie bedarf. Es gilt die Betroffenen und ihre Angehörigen vor Armut und sozialem Abstieg zu bewahren.


Der Suchtbegriff hat in letzter Zeit einen Bedeutungswandel erfahren. Bisher wurde unter "Sucht" noch die körperliche Abhängigkeit von gewissen Substanzen verstanden. Heute ist dieser Begriff um psychische und soziale Abhängigkeiten erweitert. Auch die Abhängigkeit von bestimmten Verhaltensmustern wird unter den Begriff "Sucht" eingeordnet: Fernsehsucht, Internetsucht, Magersucht etc. Und eben auch die Spielsucht. Dabei muss der Suchtbegriff deutlich von "Gewohnheit" oder "Problemverhaltensweisen, die (noch) der willentlichen Kontrolle des Subjekts unterliegen" unterschieden werden. Als Krankheitsbild bekommt Sucht einen eigendynamisches und zwanghaften Charakter.

Es geht immer ums Geld

Unter Spielsucht verstehen die Fachleute, die Abhängigkeit von Glückspielen, bei denen um einen - oft genug hohen - Geldeinsatz geht. Dass es sich dabei nicht immer um die in Österreich sogenannten "Stosspiele" handelt, darauf weist das "Institut Suchtprävention" der pro mente OÖ hin. Institutsleiter Christoph Lagemann: "Auch das Spekulieren an der Börse kann Glücksspielcharakter annehmen und zu ähnlichen Entwicklungen führen, wie das Spielen am Rouletttisch." Den Traum vom kleinen Glück durch die Lotto-Fee träumen rund 80 Prozent der ÖsterreicherInnen zwei Mal pro Woche. Dieses gewohnheitsmäßige und sozial angepasste Spielen kann aber noch nicht als Spielsucht bezeichnet werden. Gewohnheitsmäßige Spieler werden bei hohen Verlusten oder anderen schlechten Auswirkungen ihr Spiel einschränken oder ganz abstellen. Sie spielen wegen des Nervenkitzels - im schlimmsten Fall, um Geld zu verdienen. Anders der pathologische Spieler. Die WHO hat das pathologische Spielen in ihre "Internationale Klassifikation Psychischer Störungen" aufgenommen. Es hat zwei Hauptmerkmale: - Gespielt muss dauerhaft und wiederholt werden. - Trotz negativer Konsequenzen - Verarmung, gestörte Familienbeziehungen und zerrüttete persönliche Verhältnisse - spielt der Süchtige oft noch in gesteigertem Ausmaß weiter. Dem fügte die US-Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft bereits 1980 weitere Merkmale hinzugefügt: - SpielerInnen sind stark vom Glückspiel eingenommen. Das Spiel beschäftigt alle ihre Gedanken und Handlungen - vergangene Erfahrungen werde immer wieder durchgespielt und Strategien entwickelt, um künftige Verluste zu verhindern. Das Denken kreist um Möglichkeiten, sich die nächsten Spieleinsätze zu beschaffen. - Gespielt wird mit immer höheren Einsätzen, um den nötigen Nervenkitzel zu erreichen. - Versuche, das Spielen zu kontrollieren, einzuschränken oder ganz einzustellen, wurden zwar unternommen, waren aber erfolglos. Die Versuche sind von Gereiztheit und Unruhe begleitet. - Nach Verlust des Spielkapitals kehrt die SpielerIn am nächsten Tag wieder an den Spieltisch zurück, um den Verlust wett zu machen. - Sie belügen sich selbst und andere - von Familienmitgliedern bis zu Therapeuten -, um das Ausmaß der Spielsucht zu verheimlichen - SpielerInnen setzen illegale Handlungen - Fälschungen, Betrug, Diebstahl, Unterschlagung - um das nötige Spielkapital aufzutreiben. - Sie gefährden wichtige Ankerpunkte im Leben - wie Arbeitsplatz oder Aufstiegschancen. Oder haben sie schon verloren. - Und nicht zuletzt verlassen sie sich darauf, dass andere bereit stehen, um ihnen aus ihrer hoffnungslosen finanziellen Situation heraus zu helfen. Ein weiterer wichtiger Grund, auf den auch in der Therapie eingegangen werden kann, besteht im Versuch, durch das Spielen von Problemen loszukommen oder um eine sogenannte dysphorische Stimmung (z.B. Gefühle von Hilflosigkeit, Schuld, Angst, Depression) zu erleichtern.

Vom Glücksspiel abhängig?

Für Österreich und Deutschland existieren keine aussagekräftigen epidemiologische Untersuchungen. Allerdings kann an Hand der in Behandlung befindlichen Personen von einer Gefährdungs- und Erkrankungsrate zwischen einem und drei Prozent ausgegangen werden. "Diese Schätzung wird sich in Zukunft noch steigern, da eine deutliche Zunahme des Glückspielangebots - siehe Bilanzen der Österreichischen Casinos und Lotterien, Online Wettanbietern etc. - zu beobachten ist", ist sich Dr. Hubert Poppe vom Anton-Proksch-Institut Wien sicher. "Durch das vermehrte Angebot kann davon ausgegangen werden, dass nicht nur die Zahl der Spieler steigen wird, sondern auch - oder gerade dadurch - die Anzahl der problematischen und pathologischen Spieler", so der Mediziner. Als besonderes Problem sieht Poppe die Ausweitung des Angebots auf die Gruppe der Jugendlichen. Und hier im besonderen jene Glückspiele, die über moderne Informations- und Kommunikationsmedien vertrieben werden, z.B. Pokerspielen im Internet oder Sportwetten via Handy. "Diese Art des Glückspiels steht für eine anonyme, schnelle und interaktive Spielform, die in Zukunft ein noch breiteres Publikum erreichen wird. Das gilt besonders für die Generation der technologisch versierten und erfahrenen Jugendlichen, für die ein Zugriff - wegen der Altersgrenzen - offline nicht so ohne weiteres möglich wäre", so der Mediziner weiter. Zum einen erleichtern mangelhafte Altersüberprüfungen den - illegalen - Erstkontakt, zum anderen lässt die Gelegenheit einer Spielteilnahme ohne Geldeinsatz im so genannten "Fun-" bzw. "Demo-Modus" Hemmschwellen sinken und Neugierde entstehen, hält der Experte fest.

Volkswirtschaftlicher Schaden

Dass das selbstschädigende Verhalten der Spielsucht auch die Allgemeinheit in Mitleidenschaft zieht, liegt auf der Hand. Für Österreich liegen keine Berechnungen über den Schaden der pathologischen Spielsucht für die Volkswirtschaft vor. Für Kanada liegen die geschätzten Kosten pro Jahr und Spieler bei € 35.000,-. Die USA gehen von ungefähr € 25.000,- aus. Eingerechnet sind in diese Aufwendungen neben Schulden, Firmenzusammenbrüchen auch die Kosten für Strafverfahren und -vollzug sowie für Behandlung bzw. Therapie. Darunter fallen auch die Kosten für Produktionsausfälle und Hilfen zum Lebensunterhalt für die Betroffenen.

Verlauf und Therapie

Neben ambulanter Psychotherapie besteht auch die Möglichkeit, stationäre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das Konzept dabei ist dasselbe. Christoph Lagemann vom "Institut Suchtprävention" der pro mente OÖ: "Alle Suchtkrankheiten entwickeln eine besondere Dynamik. Deshalb ist es wichtig, dass der behandelnde Psychotherapeut Erfahrung im Umgang mit Suchtkrankheiten hat." Suchtkrankheiten können, je nach therapeutischem Ansatz, mit verschiedenen Therapien behandelt werden: Von Familientherapie reicht die Palette bis zu analytisch orientierten Methoden, so der Lagemann. Pathologisches Glücksspielen beginnt in der Regel allmählich. Dr. Poppe: "Belastende, selbstwertbedrohliche Lebensereignisse, insbesondere wenn sie mit neuen Verantwortungen (feste Bindungen, Schwangerschaft der Partnerin, beruflicher Aufstieg u.a.) verbunden sind, können zu einer episodischen Steigerung des Problemverhaltens führen." Der Großteil der Spielsüchtigen trägt dabei ihr Geld zu den Automaten in die Spielhalle (73 Prozent), ein Drittel ins Casino. Der Rest verspielt bei Wetten, beim Kartenspiel, im Lotto und Toto. Nur ein Prozent versucht ihr Glück an der Börse. Übernimmt die Familie die entstandenen Schulden, wenn der Spieler verspricht das Glücksspiel einstellt, kann das sogar zur Verstärkung des Glückspielverhaltens führen. So entsteht eine suchttypischen Eigendynamik, die Verluste durch erhöhte Einsätze wieder wett machen will. Die realen Konsequenzen des Glücksspiels - Schulden, Verlust von sozialen und familiären Bindungen - werden dabei ausgeblendet. Wie in einer Spirale führt die Bindung an das Glücksspielverhalten zu einer immer geringer werdenden Selbstbestimmung. So bilden Schuld- und Schamgefühle den weiteren Motor der Suchtentwicklung, die von einem fehlenden Selbstwert noch gefördert wird. Auf Grund von Verleugnungsmechanismen kann dieser Kreislauf ohne äußere Begrenzung schwer gestoppt werden. "Eine Motivation zur Veränderung erfolgt häufig erst nach dem finanziellen Ruin, Verlust der familiären Unterstützung, einer beruflichen Existenzbedrohung, Straffälligkeit oder auf Grund psychiatrischer Behandlungen nach Suizidversuchen", so Poppe. Eine erfolgreiche Behandlung kann auf Psychotherapie - ob ambulant oder stationär - nicht verzichten. Vorausgesetzt werden muss eine vollständige Abstinenz vom Glücksspiel, damit die Probleme, die durch das Glückspiel kompensiert werden, dem Süchtigen erlebbar gemacht werden. Nach der Behandlung kann dem Einzelnen die Entscheidung über den Bereich des "weichen" Glückspielverhaltens - also sozial angepasstem Spielen - überlassen werden. Dr. Poppe: "Empirisch zeigte sich, dass die Mehrheit von stationär behandelten Glücksspielern, die nach der Behandlung erfolgreich auf ihr problematisches Glücksspielmedium verzichtet haben, auch die Abstinenz von 'weichen' Glücksspielen suchten und keine Tendenz zeigten, auf andere Glücksspielformen umzusteigen." Das Rückfallrisiko scheint also gering zu sein, wenn die zu Grunde liegenden Störungen des Selbstwerts, der Gefühlsregulation und der Beziehungsgestaltung bewältigt sind. Neben der psychotherapeutischen Betreuung müssen natürlich auch die Finanzen geregelt werden: Dem Süchtigen werden monatlichen Haushaltsanalysen, Schuldenaufstellung und tägliche Ausgabenprotokolle auferlegt. Eine medikamentöse Behandlung erscheint dem Experten nur sinnvoll, wenn andere Krankheiten bestehen, die eine Medikation erfordern. "Allerdings besteht bei pathologischen Glücksspielern ein erhöhtes Auftreten von depressiven Störungen, Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit, sowie von Persönlichkeitsstörungen, die medikamentös behandelt werden können", so Dr. Poppe. Der Jahresbericht 2002 des Beratungs- und Therapiezentrums "AS" für Glücksspielabhängige und Angehörige (www.as-wien.com) stellt fest, dass über die Hälfte aller ambulant betreuten SpielerInnen als spielabstinent bzw. gebessert beurteilt wurden. Dabei waren nahezu zwei Drittel (64 Prozent) der über ein Monat lang Betreuten, mindestens 6 Monate bis zu über 2 Jahren (10 Prozent) abstinent. Im stationären Bereich dürfte die Erfolgsquote etwas höher sein, auch wenn die Anzahl der stationären Therapiemöglichkeiten für Glücksspielabhängige noch sehr gering ist. So werden ungefähr 200 SpielerInnen pro Jahr stationär behandelt (KH De La Tour der Evangelischen Diakonie in Kärnten, Anton-Proksch-Institut in Wien).

Mag. Christian Boukal
April 2006

Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020