Stress ist ein Begriff, der unangenehm berührt. Als Würze des Lebens dagegen bezeichnete ihn Hans Selye, der Begründer der Stressforschung, wenn er von seiner positiven Ausformung, dem so genannten Eustress sprach. In positiver Form und Dosis ist er nämlich ein Lebenselixier, im Übermaß und permanent erlitten (Distress) dagegen Wurzel vieler gesundheitlicher Übel.
Unter Stress versteht man alle körperlichen und seelischen Belastungen (Stressoren) sowie die Reaktion auf diese Belastungen. Stress wird wahrgenommen in Körper und Psyche. Er entsteht, wenn die persönlichen Anforderungen mit den Möglichkeiten deren Bewältigung im Ungleichgewicht stehen. Negativer Stress entsteht, wenn zur objektiven Belastung das subjektive Gefühl der Überforderung tritt. Stress entsteht nicht einfach nur durch das Auftreten eines Stressors, sondern hängt vor allem auch davon ab, wie der Betroffene damit umgeht und ob er die Situation subjektiv als belastend bewertet. Das Gefühl der Kontroll- und Einflussmöglichkeit vermindert die Auswirkungen eines Stressors. „Gefühle wie Machtlosigkeit oder das völlige Ausgeliefertsein dagegen sind gewaltige Belastungen“, sagt Prof. Dr. Werner Schöny, ärztlicher Leiter der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg.
Stress als sinnvolles Mittel der Evolution
Stress in seiner ursprünglichen, also evolutionären Form hatte die Funktion, den Menschen vor Gefahr für Leib und Leben zu schützen. Es handelt sich um einen seit Millionen Jahren verankerten Verteidigungsmechanismus. Bei Gefahr mobilisiert der Körper binnen Sekunden Energiereserven für eine sofortige Muskelleistung. Die Hormone Adrenalin und Cortisol bringen den Körper augenblicklich auf Hochtouren: Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Muskeln spannen sich an. Dieses genetisch verankerte Programm stimmt uns auf Kampf oder Flucht ein. Diese Vorgänge werden vom vegetativen (autonomen) Nervensystem gesteuert und unterliegen nicht unserem Willen oder unserem Verstand und das hat seinen guten Grund: Hätte der Steinzeitmensch jedes Mal überlegen und entscheiden müssen, ob er überhaupt kämpfen oder fliehen soll, wäre er auf verlorenem Posten gestanden.
Bedrohungen im Wandel
Diese inneren Vorgänge lassen sich also nicht steuern; das galt damals ebenso wie es heute gilt. Obwohl die körperlichen Bedrohungen heute meist obsolet sind, ist das Stressreaktions-Programm weiterhin im Menschen verankert. Geändert haben sich jedoch die Stressauslöser. Zumeist sind es nun psychische Stressoren, die es zu verarbeiten gilt. Zur Bewältigung der heutigen „Bedrohungen“ wie etwa Prüfungen oder zwischenmenschliche Konflikte ist dieses Programm aber völlig ungeeignet, da diese Situationen weder mit Flucht noch mit Kampf zu bewältigen sind. Da auf eine Belastungssituation heute weder körperlicher Kampf noch Flucht folgt, werden die bereitgestellten Energien nicht verbraucht, der körperliche Anspannungszustand bleibt bestehen.
Auch Vorstellungen können stressen
Dieses Problem verschärft sich noch durch den Umstand, dass der Körper nicht zwischen realen und vorgestellten Gefahren unterscheidet. Entsteht psychischer Stress nun etwa dadurch, weil man in seiner Vorstellung Belastungsszenarien durchspielt, folgt diesem Gedankenkarussell keine entsprechende körperliche Aktivität wie Kampf oder Flucht. Werden die Energien nicht etwa durch Sport abgebaut, verbleiben sie im Körper.
Individuelle Wahrnehmung und Bewertung des Stressfaktors
Nicht jeder Mensch reagiert gleich auf Belastung. Was für den einen anregende Spannung ist, kann für den anderen krank machender Stress sein. Die subjektive Wahrnehmung und die Bewertung der Herausforderung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die Einstufung eines Ereignisses als positiv oder negativ trägt wesentlich dazu bei, ob man dieses als belastend empfindet oder nicht. „Ein und dasselbe Ereignis kann sehr unterschiedlich wahrgenommen werden. Während dem einen etwa eine negative Bewertung des Chefs nicht aus der Ruhe bringt, wirft das einen anderen völlig aus der Bahn“, sagt Primar Schöny.
Stressauslöser (Stressoren)
Belastungen können körperlich, geistig sowie psychisch-seelisch verursacht sein. Einschneidende Ereignisse wie Tod eines Angehörigen, eine schwere Erkrankung, Scheidung oder Kündigung sind gravierende Stressoren. Aber auch alltägliche Dinge wie Zeitdruck, Konflikte, Lärm, Streit und übermäßige Sorgen können Stress verursachen.
Arbeitsdruck wächst
Im Arbeitsumfeld belasten vor allem Überforderung, mitunter aber auch Unterforderung, Mobbing, mangelnde Anerkennung und das Gefühl, sein Potential nicht entfalten zu können. Schöny: „Die Ausführung der Arbeit sollte nicht exakt vorgeschrieben werden. Jeder braucht Entscheidungsspielräume. Es muss möglich sein, die eigene Kreativität in die Arbeit einzubringen.“
Um Überlastung zu vermeiden, empfiehlt es sich den Arbeitsablauf zu optimieren, Ruhezeiten einzuhalten und Störfaktoren wie Unterbrechungen und Lärm zu minimieren. Schöny warnt zudem vor einer fortschreitenden Personalreduzierung. „Heute muss oft ein einzelner Arbeitnehmer all die Aufgaben bewältigen, wofür in früheren Jahren drei Leute zuständig waren.“
Zwei Millionen Krankenstandstage
Dauerstress mündet in vielen Fällen in einer psychischen Störung. Schöny nennt Zahlen: „Eine halbe Million Österreicher ist von stressbedingten Störungen wie Burnout betroffen. Mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer fühlt sich im Beruf chronisch gestresst. Zwei Millionen Krankenstandstage pro Jahr sind die Folge. Tendenz stark steigend. Fast 40 Prozent aller Berufsunfähigkeitspensionen sind durch psychische Störungen verursacht. Man wäre wirtschaftspolitisch gut beraten, der Überlastung im Arbeitsumfeld entgegenzuwirken.“
Warnsignale
Dauerstress kann sich in folgenden körperlichen und psychischen Symptomen zeigen: Ständiges Grübeln, Entscheidungsschwäche, Konzentrationsschwierigkeiten, Gereiztheit Aggressivität, übermäßige, oft unbegründete Ängste, Missbrauch von Alkohol und anderen Drogen. Ständige Müdigkeit, gestörtes Essverhalten, reduzierte sexuelle Lust, diffuse körperliche Beschwerden, Schlafstörungen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen.
Nur chronischer Stress ist schädlich
Kurzfristiger Stress schadet nicht. Folgt einer Stressphase eine Erholungsphase, kommt Körper und Psyche schnell wieder ins Lot. Wird Stress dagegen zu einer Dauerbelastung, dann sinkt die Toleranzgrenze, man wird dünnhäutiger und es gelingt selbst in Erholungsphasen nicht mehr auf Entspannung zurückzuschalten. Dies führt zur schrittweisen Erschöpfung bis hin zu schweren körperlichen und psychischen Erkrankungen. Dauerstress kann auch Einfluss auf das soziale Verhalten nehmen. Eine mögliche Stressreaktion ist das Vermeiden von zwischenmenschlichen Kontakten bis hin zum sozialen Rückzug.
Die Folgen von Dauerstress
Wenn Stress über einen längeren Zeitraum anhält, hat das in der Regel geistige, seelische und körperliche Folgen. Wenn wir die Signale unseres Körpers ignorieren und permanente Stresssituationen unseren Alltag bestimmen, kann dies deutliche gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Auch negative Auswirkungen auf den Verlauf von bereits bestehenden Krankheiten sind möglich. Weit verbreitete Stressbewältigungsversuche wie Rauchen, Alkohol und Tabletten verstärken die negativen gesundheitlichen Folgen zusätzlich.
Körperliche Folgen
Mögliche körperliche Folgen von Dauerstress sind: Eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Gehirns, Hirninfarkt, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Magen-Darm-Geschwüre, Diabetes, erhöhter Cholesterinspiegel, häufige Infektionserkrankungen, Stoffwechselstörungen, Durchfall oder Verstopfung, Tinnitus, Hörsturz, chronische Muskelverspannungen (führen zu chronischen Schmerzen), verringerte Schmerztoleranz, Zyklusstörungen, Unfruchtbarkeit, Impotenz, Allergien, Hautausschlag, Lippenherpes, Schlafstörungen, Asthma. „Im Grunde kann sich zuviel Stress auf jedes Organ im Körper auswirken“, sagt Schöny. In Stresszeiten besteht zudem erhöhte Unfallgefahr.
Psychische Folgen
Gestresste Menschen fühlen sich rasch genervt und überfordert. Sie befinden sich in einer Stressspirale. Sie haben das Gefühl, ihr Leben nicht mehr im Griff zu haben. Schon kleinste Anlässe können das Fass zum Überlaufen bringen. Entspannung misslingt und Erholung will sich nicht mehr einstellen. Dauerbelastung kann in Erschöpfungszuständen, Depressionen, Suchterkrankungen oder in Burnout münden.
Geistige Folgen
Während ein gewisses Maß an Stress hilft, seine Leistung zu steigern (z.B. bei schulischen Prüfungen), beeinträchtigt Dauerstress die Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Lernfähigkeit und die Gedächtnisleistung.
Dr. Thomas Hartl
März 2011
Foto: Bilderbox