DRUCKEN

Wenn Jugendliche sterben wollen

Wenn Jugendliche sterben wollenSuizid ist nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste Todesursache bei Menschen bis 20 Jahren. Die Weltgesundheits-organisation WHO spricht von jährlich rund 30.000 Selbstmorden von jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahre in den EU Ländern. Geschätzte 700.000 Jugendliche unternehmen den Versuch einer Selbsttötung. Die gefährdeten Personen werden zudem immer jünger.

Risikofaktoren

Liebeskummer, das Gefühl ein Versager zu sein, wertlos, „das schwarze Schaf“ in der Familie zu sein: Die Gründe für Selbstmordgedanken können vielfältig sei. Oft sind es auch verschiedene Probleme, die sich anhäufen und einem Jugendlichen schnell „zu viel“ werden. Die Aufforderung „Hört was wir nicht sagen“ beschreibt die Stimmung von suizidgefährdeten Jugendlichen sehr gut.

Unterschiede bei Mädchen und Burschen

Männliche Jugendliche begehen wesentlich häufiger Selbstmord als weibliche Jugendliche. Bei den unter 15-Jährigen liegt das Verhältnis von Suizid Burschen zu Mädchen bei 3 zu 1, bei 15 bis 20-Jährigen bei 4 zu 1. Weibliche Jugendliche begehen mehr Suizidversuche. Die Suizidhandlung hat hier oft Appellcharakter.

Männer wählen bei der Auswahl der Suizidart eher harte Methoden (erhängen, erschießen), die eine größere „Erfolgswahrscheinlichkeit“ besitzen. Auch der Suizidort liegt weiter entfernt von Zuhause. Frauen bevorzugen „weichere“ Methoden (Tabletten), bei der die Chance zu überleben größer ist. Der Suizidort liegt bei Mädchen eher Zuhause.

Phasen zum Suizid

Der Weg zum Suizid verläuft meist in Phasen: Man erwägt die Möglichkeit, es findet ein innerer Kampf um das Für und Wider (Ambivalenzphase) statt, oft folgen Suizidankündigungen. Schließlich folgen der Entschluss zum Suizid, Vorbereitungen und meist ein Abschiedsbrief. Auch gibt es die so genannte „Ruhe vor dem Sturm“, oft fehlgedeutet als „Wende zum Guten“. Bei Kindern, Jugendlichen, Suchtkranken und psychisch Kranken, können diese Phasen sehr schnell durchlebt werden.

Tatort Schule

Sowohl die Angst vor bestimmten Pädagogen als auch Probleme durch Mobbing unter den Schülern bereiten vielen Kindern und Jugendlichen Probleme.„In meiner Arbeit mit Jugendlichen fällt mir auf, dass eine Vielzahl von Lehrpersonen Kinder und Jugendliche nicht ernst nimmt oder auch abwertet. In der Pubertät, als einer wichtigen Phase der Identitätsentwicklung, kann das sehr tiefgehende Auswirkungen haben“, sagt Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Mag. Beate Handler. Je nach Persönlichkeit agieren manche Schüler mit Aggression nach außen, andere wieder mit Rückzug, Angst, Traurigkeit und Hilflosigkeit.

Mobbing unter Schülern hat es schon immer gegeben und gibt es weiterhin. Es wird auch von Alltagsverrohung gesprochen. Abgesehen von der Verantwortung der Gesellschaft und der Eltern bezüglich Erziehungsaufgaben, haben Lehrpersonen die Verantwortung, Mobbing in ihrem Klassenverband entgegenzuwirken. „Fehlt ihnen die pädagogische und psychologische Kompetenz oder besteht Hilflosigkeitsempfinden, so sollten Pädagogen Supervision in Anspruch nehmen“, empfiehlt Handler.

Familie

So etwas wie eine erbliche Vorbelastung für Suizidgefährdung gibt es nicht. Jedoch spielt die Einbettung in der Familie eine bedeutende Rolle. „Zerrüttete Familienverhältnisse destabilisieren die Kinder. Vernachlässigung, Zurücksetzung, Misstrauen, ständige Kritik den Kindern gegenüber ist genauso schädlich wie eine ständig sehr hohe Leistungserwartung. Wertschätzendes Verhalten und Vertrauen in die Kinder zu setzen, fördert dagegen eine psychische Stabilisierung“, so Handler.

Alkohol und Drogen als Risiko

Suchtmittelmissbrauch spielt bei der Beurteilung eines Suizidrisikos eine nicht unwichtige Rolle, da Substanzmissbrauch psychisch sehr stark destabilisierend wirkt und zu massivem Kontrollverlust führt. Oft trägt es auch zum Abbruch der Ausbildung bei und bewirkt einen körperlichen, wie psychischen Verfall.

Andeutungen ernst nehmen und direkt ansprechen

Spricht jemand über seinen möglichen Suizid oder deutet er einen solchen an, sollte man das in jedem Fall ernst nehmen, das Gespräch mit dem Betroffenen suchen und fachliche Unterstützung. „Jeder Hilfeschrei ist eine Aufforderung an das soziale Umfeld, zu handeln und zu unterstützen, um aus der Notlage herauszukommen“, sagt Handler.

Auf Signale seitens eines gefährdeten Jugendlichen zu warten, kann jedoch zu wenig sein. „Auch wenn das soziale Umfeld oft Angst davor hat, man sollte Gefährdete auf mögliche Suizidgedanken ansprechen“, so Handler. Das könne den Jugendlichen entlasten.

Selbsthilfe und Hilfe

Am meisten hilft es, wenn die Selbstmordgedanken mit anderen besprochen werden: Mit dem besten Freund, mit einem Elternteil, dem man vertraut oder einer Hotline. Auch ein Tagebuch über Selbstmordgedanken kann helfen.

Wenn Selbstmordgedanken häufiger werden oder ein heftiger „Weltschmerz“ von einer Sekunde auf die andere eintritt, dann sollte psychologische Hilfe in Anspruch genommen werden: Eine Hilfe, die neue Denkstrukturen setzt, Denkstrukturen, die Lebensfreude statt Lebensverdruss schaffen.

Motive

  • Verlust eines Elternteils durch Scheidung oder Tod
  • gestörte Familienbeziehungen
  • Probleme in Schule, Ausbildung, Beruf
  • Drogenabhängigkeit, Alkoholismus
  • ernste Erkrankungen
  • traumatische Erlebnisse
  • Konflikt mit dem Gesetz
  • als abweichend empfundene sexuelle Veranlagung
  • Liebeskummer, Freundschaftsabbrüche
  • Vereinsamung, Fehlen von sozialer Sicherheit
  • Abwertungen, Gefühl nicht Ernst genommen werden
  • Sinnfragen das Leben betreffend
  • Mangel an Selbstwert, Selbstachtung, ein verzerrtes Selbstbild
  • Unerwünschte Schwangerschaft
  • Angst vor Autorität oder sozialem Umfeld, Versagensängste, Depression
  • Rache: Viele Jugendlichen glauben, sie könnten, wenn sie tot sind, die Eltern oder den Freund, sehen, wie sie/er weinen und leiden

Gefährdung erkennen

  • Abrupte Veränderung in der Persönlichkeit
  • Abbrechen von Freundschaften
  • Weggeben/Verschenken von persönlichen und wichtigen Dingen
  • Vernachlässigung von Schule, Studium, Beruf und der äußeren Erscheinung
  • Schuleschwänzen, Weglaufen
  • Veränderung von Essverhalten (Magersucht, Essstörungen)
  • andauernde Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit
  • Kommunikationsabbruch, Verschlossenheit
  • Traurigkeit, Antriebslosigkeit, anhaltendes Stimmungstief, Depression
  • starke Stimmungsschwankungen, Einsamkeit, Rückzug
  • selbstverletzendes oder selbstschädigendes Verhalten
  • Missbrauch von Drogen und/oder Alkohol
  • frühere Suizidversuche oder Andeutungen, sterben zu wollen
  • Ängste, Panik, chronischer Schmerz

Ansprechpartner in OÖ

Jugendinfo-Hotline: 0800/240 266 / ministerium@jugendinfo.at

Helpline des Berufsverbands Österreichischer Psychologinnen und Psychologen: 01/4079192 / helpline@boep.or.at

Psychosozialer Notdienst OÖ: (+43 732) 65 10 15

Streetwork OÖ: http://www.streetwork.at

Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg, Jugendpsychiatrische Abteilung
 

Dr. Thomas Hartl
April 2008

Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020