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Autisten: Ihre Welt ist anders

Autisten: Ihre Welt ist andersDie wirklichen Probleme von Menschen mit autistischer Störung zu verstehen, ist fast nicht möglich. Aber wir sollten es zumindest versuchen. Der Internationale Autistentag am 2. April soll uns daran verständnisvoll erinnern, dass es Menschen gibt, deren Welt einfach anders ist.
Der zehnjährige Nicolas leidet unter frühkindlichem Autismus. Der Bub lebt in seiner ganz eigenen Welt und hat zahlreiche Rituale, bestimmte stereotype Verhalten, die er ständig wiederholt. Nicolas spricht überhaupt nicht, ob er lesen oder schreiben kann, wissen seine Eltern nicht. Er wiegt gerade einmal 30 Kilo, schläft nachts nur drei Stunden und ist sehr wählerisch in puncto Essen. Nicolas isst nur ganz wenige Lebensmittel - nur eine einzige Pizzasorte. Nicolas fährt gerne im Auto mit, er mag die Schnelligkeit und das Fahren, doch wenn die Ampel auf Rot springt, eskaliert die Situation oft. Nicolas bekommt dann Wut- und Schreianfälle. Seine eigene Ordnung, seine Regeln dürfen nicht verändert oder gestört werden.

Hollywood entdeckt Autismus

Manche Cineasten wird die beschriebene Situation an das Mercury Puzzle erinnern, ein Thriller mit Bruce Willis und dem autistischen Bub Simon, der ein Rätsel knackt, das eigentlich nur ein Computer lösen kann. Filme wie dieser oder Rain Main mit Dustin Hoffman haben auf die Problematik rund um autistische Wahrnehmungsstörung aufmerksam gemacht. Sie vermitteln aber ein Bild, das nur bedingt richtig ist. „Autismus ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern“, sagt der Oberarzt Dr. Armin Köswagn, Jugend- und Kinderpsychiater der OÖ Landes-Frauen und Kinderklinik, „Den Autisten gibt es nicht. Wir sprechen vom autistischen Krankheitsbild.“

Viele Facetten

Das Spektrum reicht vom hochbegabten, scheinbar etwas schrulligen Menschen, der vom so genannten Asperger Syndrom betroffen ist, bis hin zu einem Menschen, der vollkommen in seiner eigenen Welt versunken ist. Die Schwere der Symptome sowie das Profil der Fähigkeiten variieren von erheblicher Beeinträchtigung bis zu „originellem“ Verhalten. Die intellektuelle Begabung von Kindern mit autistischer Wahrnehmung reicht von geistiger Beeinträchtigung bis zu besonderen kognitiven Leistungen.

Ursachen

Über die Ursache von Autismus gab es schon die verschiedensten Theorien. Schizophrenie und Autismus galten bis in die 70-erJahre als zwei Störungen gleichen Ursprungs und Wesens. Man ging davon aus, dass Autismus eine sehr früh beginnende Form der Schizophrenie sei und nannte daher das Syndrom „kindliche Schizophrenie“. Auch große Erziehungsfehler –hauptsächlich seitens der gefühlskalten Mütter - galten noch in den 70-erJahren als Ursache. Heute weiß man, dass dies nicht stimmt.
Trotz vieler Einzelergebnisse in der Ursachenforschung gab es bislang kein allgemein verbindliches Ergebnis. Sehr wahrscheinlich sind die Ursachen vielschichtig. Hier spielen neurophysiologische und genetische Faktoren einer Rolle. Befunde zu biochemischen Einflüssen liegen zwar vor, sind aber noch uneinheitlich und daher schwer zu bewerten.

Buben häufiger betroffen

Nach den neuesten internationalen Untersuchungen sind laut der Autistenhilfe Österreich von 10.000 Kindern 63 von einer tief greifenden Entwicklungsstörung betroffen, 17 davon leiden an frühkindlichem Autismus und acht am Asperger Syndrom. Die größte Störungsgruppe innerhalb des autistischen Spektrums bilden die nicht näher bezeichneten tief greifenden Entwicklungsstörungen mit einer Häufigkeit von 36 auf 10.000 Kinder. Insgesamt sind daher in Österreich etwa 48.500 Kinder betroffen, rund 13.600 davon von frühkindlichem Autismus. Jungen sind im Vergleich zu Mädchen 4:1 überrepräsentiert.
Autismus ist eine Störung, die von Geburt an vorliegt. Sie macht sich in den ersten drei Lebensjahren bemerkbar, manchmal auch erst etwas später. Das ist von Kind zu Kind verschieden.

Erste Anzeichen

Eltern sollten unter anderem dann hellhörig werden, wenn das Kind nicht zu sprechen beginnt, Worte oder Sätze stets wiederholt (Echolalie), wenn es kein Interesse an Spielzeug zeigt, keine Gegenstände bringt, um sie den Eltern zu zeigen, oder wenn es kein Interesse an anderen Kindern zeigt.

Erster Weg zum Kinderarzt

Haben Eltern einen diesbezüglichen Verdacht, sollte ihr erster Weg zum Kinderarzt führen. Kann er deren Verdacht nicht ausräumen, ist es sinnvoll, eine auf Autismus spezialisierte Ambulanz aufzusuchen. Es ist sehr schwer, Autismus von anderen Verhaltensstörungen abzugrenzen. So kann Autismus auf den ersten Blick vielleicht auch wie eine Sprachstörung aussehen. Kinder mit Sprachstörungen haben jedoch nicht unbedingt Probleme im sozialen interaktiven Umgang mit anderen Menschen. Auch Hyperaktivität muss vom Autismus unterschieden werden – die beiden können jedoch bei vielen autistischen Kindern als Paar auftreten.

Herausforderndes Verhalten

Eltern, deren Kind autistisch ist, werden an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus gefordert. Manche Kinder schlafen in der Nacht nur zwei Stunden, manche haben ein „herausforderndes Verhalten“, reagieren aggressiv, wenn ihre „Weltordnung“ gestört wird. „Eine möglichst frühe Diagnose ist jedenfalls entscheidend für die Zukunft des Kindes, da eine früh einsetzende Förderung die Prognose deutlich verbessert“, sagt Dr. Kröswagn.

Frühe Förderung ist entscheidend

Autismus ist nicht heilbar, jedoch gibt es viele Möglichkeiten, das Kind entsprechend zu fördern. Die heilpädagogische Frühförderung bietet eine allgemeine Entwicklungsförderung zu Hause an. Außerdem können spezifische Programme die Entwicklung fördern und den Alltag strukturieren helfen. Eine weitere Möglichkeit ist zum Beispiel die „Unterstützte Kommunikation“. Sie ist der Oberbegriff für alle pädagogischen oder therapeutischen Maßnahmen zur Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten von Menschen, die nicht oder kaum über Lautsprache verfügen. Beispiele sind die Einführung von Bildsymbolkarten oder einer Kommunikationstafel zur Verständigung, die Versorgung mit einem Sprachausgabegerät oder die Ergänzung der Lautsprache durch das Gebärden von Schlüsselwörtern. Auch PC-Programme sind dafür hilfreich. „Besonders wichtig ist, dass die Kinder in Schule und Kindergarten integriert werden“, sagt Dr. Kröswagn.

Orientierungshilfe

Eltern stehen punkto Therapie einem geradezu unüberschaubaren Angebot gegenüber und fühlen sich deshalb oft überfordert. Die American Autism Society hat einen 7-Punkte-Plan erstellt, der Orientierungshilfe bietet. Der Bewertungskatalog eignet sich auch für therapeutische Angebote von anderen Erkrankungen oder Beeinträchtigungen.

  • Jeder neuen Therapie sollte man mit hoffnungsvoller Skepsis begegnen.
  • Besondere Skepsis ist angebracht, wenn eine Methode beansprucht wird, bei jeder Form von Autismus oder bei jedem Betroffenen zu wirken.
  • Vorsicht mit allen Methoden, die die Individualität missachten und dem Betroffenen schaden können.
  • Immer daran denken, dass jede Methode nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt.
  • Jeder Behandlung kann nur nach einer individuellen Untersuchung eingesetzt werden, die ihre Angemessenheit prüfen soll
  • Über neue Therapiemethoden wird oft recht oberflächlich diskutiert: Vorsicht, wenn die Debatte auf die moralische Ebene gerät.
  • Neue Behandlungsmethoden müssen wissenschaftlich evaluiert sein.



Elisabeth Dietz-Buchner

März 2011

Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020