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Multiple Chemikalien-Unverträglichkeit (MCS)

Multiple Chemikalien-Unverträglichkeit (MCS)Zugegeben, es ist auch für gesunde Menschen nicht angenehm, an einer Tankstelle den Geruch von Benzin einzuatmen. Bei Menschen mit MCS jedoch bleibt der Kontakt mit geringen Mengen dieser Chemikalien nicht ohne Folgen: Sie klagen über vielfältige Symptome – von Kopfschmerzen bis Gefühlsstörungen. Dr. Christian Wolf von der Medizinischen Universität Wien im Gespräch über die rätselhafte Erkrankung.

Die Abkürzung „MCS“ steht für Multiple Chemikalien-Sensitivität, im Englischen als „Multiple Chemical Sensibility Syndrom“ bezeichnet. Universitätsprofessor Dr. Christian Wolf, Mitarbeiter der Arbeitsmedizinischen Ambulanzen an der Medizinischen Universität Wien, erklärt: „Die Multiple Chemikalienunverträglichkeit ist eine von Betroffenen behauptete Überempfindlichkeit gegenüber verschiedenen Chemikalien. Während bestimmte Belastungen in geringer Höhe von der üblichen Bevölkerung toleriert werden, beispielsweise wenn man bei einer Tankstelle Benzin riecht, bekommen Betroffene verschiedenste Symptome.“
Alltägliche Substanzen haben für Menschen, die unter MCS leiden, „Nebenwirkungen“: Sie reagieren auf für die normale Bevölkerung harmlose Umwelteinflüsse unterschiedlich stark. Auslöser können Duftstoffe, Desinfektionsmittel, Waschmittel, Zigarettenrauch, Dieselabgase oder Wohngifte wie Holzschutzmittel oder Formaldehyd in Spanplatten sein. Kommen Betroffene mit kleinsten Mengen der auslösenden Chemikalien in Kontakt – es genügt beispielsweise ein Hauch eines bestimmten Duftstoffes –, reagieren sie unterschiedlich stark.

Vielfältige Symptome: Von Müdigkeit bis zu Taubheitsgefühlen

Das Spektrum der möglichen Beschwerden reicht von Kopfschmerzen, ständiger Müdigkeit, Übelkeit und allgemeiner Schwäche bis zu Reizungen der Schleimhäute, Atemproblemen sowie Verdauungsstörungen. Es können sich aber Konzentrations- und Gefühlsstörungen bemerkbar machen.
Die Folgen sind häufig ein sozialer Rückzug: Viele Betroffene leiden so stark unter ihren Beschwerden, dass sie ein völlig isoliertes Leben führen und eine Depression entwickeln.

Diagnose durch Ausschlussverfahren

Aufgrund der unspezifischen Symptome ist die Diagnosestellung meist sehr schwierig. Sie erfolgt vorwiegend über den Ausschluss anderer Erkrankungen. Der Internist und Arbeitsmediziner bestätigt: „Man muss untersuchen, ob Betroffene allergisch auf bestimmte Stoffe reagieren. Dann handelt es sich aber nicht um eine Chemikalien-Unverträglichkeit, sondern um eine Allergie. Es können aber auch Autoimmunerkrankungen oder andere Erkrankungen für die Beschwerden verantwortlich sein.“
Um der Ursache auf den Grund zu gehen versucht man, die Belastungen zu simulieren, die bei den Patienten die Symptome hervorrufen. Reagiert beispielsweise jemand auf Duftstoffe in Parfums mit tränenden Augen, wird der Betroffene dieser Situation ausgesetzt. „Sobald man die Personen mit der Chemikalie belastet, sollte man etwas sehen. Meistens finden wir dadurch aber nichts“, stellt Wolf fest. Er fügt hinzu: „Untersucht man Betroffene nach schulmedizinischen Methoden, erhält man keine auffälligen Befunde. Es besteht somit eine Diskrepanz zwischen der behaupteten Überempfindlichkeit und der schulmedizinischen Diagnose. Die Betroffenen erleben jedoch ihre Beschwerden real. Sie haben Gesundheitsprobleme und bilden sich diese nicht ein.“

Untersuchung von Körper und Psyche

Wichtig ist es deshalb – im Sinne einer ganzheitlichen Untersuchung – auch die Psyche der betroffenen Menschen ins Visier zu nehmen. Ursache für die Beschwerden können nämlich so genannte somatoforme Störungen sein. Dabei handelt es sich um körperliche Beschwerden, die auf keine organische Erkrankung zurückzuführen sind. „Dass wir auch die Psyche untersuchen, stößt aber nicht immer auf Zustimmung. Viele Patienten erleben das als diskriminierend. Vielmehr ist diese patientenseitige Ablehnung aber eine Diskriminierung der Psychiatrie“, so der Mediziner.

Keine schulmedizinische Therapie möglich

Nicht nur die Diagnose, auch die Therapie der Multiplen Chemikalien-Sensitivität erweist sich als schwierig: „Es gibt keine Therapie mit Medikamenten. Derzeit stehen nur alternativ-medizinische Verfahren wie Elektroakupunktur oder Bioresonanz zur Verfügung. Die Krankenhassen zahlen diese Therapien zu Recht allerdings nicht“, so Wolf.
Handelt es sich um eine somatoforme Störung, versucht man mit verhaltenstherapeutischen Maßnahmen die Überempfindlichkeit wieder in einen Normalbereich zu bringen. Denn Ziel kann nicht die Herauslösung aus der Umwelt oder ein isoliertes Leben sein: „Es geht darum, einen normalen Umgang zu erlernen. Auch wenn Betroffene wahrscheinlich nie Arbeitnehmer einer Lackfabrik werden, wenn sie mit einer Unverträglichkeit auf diese Chemikalien reagieren“, sagt Wolf.

MCS lässt viele Fragen offen

MCS lässt viele Fragen offen: Die Krankheit ist zwar in Österreich als eigenständige Erkrankung nicht allgemein anerkannt, anerkannt sind aber die Beschwerden, die die Betroffenen haben. „Wir glauben Betroffenen die Beschwerden und sehen auch, dass sie darunter leiden. Der Nachweis ist aber schwierig“, stellt Wolf fest.

MMag. Birgit Koxeder

August 2010

Foto: Bilderbox

Zuletzt aktualisiert am 11. Mai 2020