Fibromyalgie ist eine chronische Erkrankung, die durch generalisierte Schmerzen der Muskulatur, des Bindegewebes und der Knochen geprägt ist. Was in der Definition so nüchtern klingt, bedeutet für Betroffene oft eine radikale Einbusse ihrer Lebensqualität. Einerseits quälen die Schmerzen, andererseits macht eine bleierne Kraftlosigkeit selbst alltägliche Dinge wie Zähneputzen oder Kleidung anziehen zur schwer überwindbaren Hürde. Eine geregelte Arbeit wird oft unmöglich und soziale Isolation droht.
Am häufigsten betroffen sind Frauen im mittleren Lebensalter. In seltenen Fällen können auch Männer oder Kinder daran erkranken. Fibromyalgie kann jedoch mit jedem Alter ausbrechen.
Ursachen
Die Ursachen sind nach wie vor unbekannt. „Studien und auch die Praxis zeigen, dass es neben einer gewissen Häufung in der Familie vor allem einen Umstand gibt, den viele Betroffene vor Ausbruch ausgesetzt waren, nämlich Stress. Menschen, die berufliche oder private Probleme haben, zeigen eine gewisse Anfälligkeit“, sagt Prof. Dr. Sabine Sator-Katzenschlager, Leiterin der Akupunktur und Schmerzambulanz am AKH Wien. Auch fieberhafte Infekte gelten als mögliche Auslöser. Auffällig sei laut Sator-Katzenschlager auch, dass viele weibliche Flüchtlinge betroffen sind. Es könne daher ein Zusammenhang mit dem posttraumatischen Stresssyndrom bestehen.
Art der Erkrankung
Obwohl der Muskel- und Bänderapparat des Menschen betroffen ist, zeigt Fibromyalgie keinerlei Auffälligkeiten im Befund. Laborwerte, die für Entzündungen sprechen, sind normal, auch Leber- und Nierenparameter sowie Blutbild zeigen keine Abweichungen von der Norm. Es handelt sich daher um keine rheumatische und keine entzündliche Erkrankung. „Man könnte es als eine Schmerzverarbeitungsstörung bezeichnen“, sagt Schmerzspezialistin Sator-Katzenschlager.
Fibromyalgie ist ein eigenes Krankheitsbild, sie kann sich aber auch zusätzlich zu anderen Schmerzstörungen entwickeln. Oft tritt es neben bereits bestehenden Schmerzstörungen auf oder es entwickelt sich bei Menschen, die seit Jahren an nicht oder schlecht behandelten Rückenschmerzen leiden.
Diagnose
Am besten wenden sich Schmerzgeplagte direkt an eine Schmerzambulanz. Je früher eine richtige Diagnose und eine effektive Behandlung erfolgt, desto besser kann Betroffenen geholfen werden. In einem ersten Schritt sind andere Schmerzerkrankungen auszuschließen. Sind keine Entzündungen vorhanden, dann sucht man konkret nach den typischen Anzeichen der Fibromyalgie.
Kennzeichnend sind großflächige Schmerzen am ganzen Körper mit zusätzlichen typischen Druckschmerzpunkten, das sind druckempfindliche Punkte. Drückt man diese, empfindet der Betroffene Schmerzen. Man findet diese Punkte am Nacken, oberhalb der Schulterblätter, bei den Schlüsselbeinen, in der Kreuzbeingegend, an den äußeren Oberschenkeln, in den Kniekehlen und an den Ellbögen. Schmerzt quasi der ganze Körper und sind zumindest 11 der 18 Druckschmerzpunkte betroffen, dann spricht dies für das Vorliegen der Fibromyalgie.
Auch die Begleiterscheinungen können die Diagnose verfestigen: Man fühlt sich krank, müde und ausgelaugt. Häufig finden sich auch Schlafstörungen, Depressionen, Reizmagen und Kopfschmerzen, morgendliches Steifheitsgefühl, neurologische Störungen, Konzentrationsstörungen und erheblich verringerte Leistungsfähigkeit. Körperliche, geistige, aber auch emotionale Belastungen erfordern unnatürlich lange Erholungsphasen. Während für manche Patienten vor allem die Schmerzen im Vordergrund stehen, klagen andere hauptsächlich über Müdigkeit und Verspannungen.
Abgrenzung zu anderen Schmerzerkrankungen
Typisch für die Fibromyalgie ist, dass sämtliche Körperregionen betroffen sind, der Körper also überall schmerzt. Bei anderen Schmerzerkrankungen sind dagegen nur bestimmte Körperteile betroffen. So schmerzt etwa beim Cervikalsyndrom der Bereich Schultern und Nacken.
Behandlung
Behandlungskonzepte beruhen darauf, schwer beeinträchtigende Symptome wie Schmerz, Müdigkeit oder Schlafstörungen zu bekämpfen, wobei man gute Ergebnisse mit ganzheitlichen Konzepten erreicht.
„Die Behandlung sollte unbedingt multi-modal erfolgen. Die alleinige Verabreichung von Schmerztabletten ist kontraproduktiv. Viele Betroffene laufen, bevor sie die richtige Diagnose gestellt bekommen, oft jahrelang von einem Arzt zum anderen. Das macht die Sache noch schlimmer, weil oft falsche Medikamente verschrieben werden. Durch die Gabe der üblichen Schmerzmedikamente kann man höchstens kurzfristig Erleichterung verschaffen, in Wahrheit verschärft man das Problem aber noch, da die richtige Behandlung ausbleibt und die Schmerzen chronifizieren, sich also mit der Zeit immer mehr verfestigen“, erklärt die Ärztin.
Eine multi-modale Behandlung wie sie Sator-Katzenschlager empfiehlt, setzt sich aus folgenden Bausteinen zusammen:
- Da viele Betroffene zusätzlich an Depressionen und/oder Angststörungen leiden, sind Antidepressiva meist hilfreich.
- Psychotherapie zur Schmerzbewältigung.
- Körperliche Betätigung - es gibt spezielles Fibromyalgie-Turnen.
- zusätzliche Methoden: Biofeedback, Akupunktur, Entspannungsübungen wie Autogenes Training, Hypnose, Meditation etc. Alles, was Geist und Körper entspannt, kann hilfreich sein.
- Selbsthilfegruppen.
Gute Lebensqualität möglich
Da bis heute die Ursachen weitgehend unerforscht sind, spricht niemand von der Möglichkeit einer völligen Heilung. „Wie bei jeder chronischen Erkrankung ist eine Heilung schwer möglich. Eine Linderung der Symptome freilich ist durchaus machbar. Durch die multi-modalen Behandlungsformen werden gute Ergebnisse erzielt und viele Patienten können sich wieder in den gesellschaftlichen Alltag eingliedern. Der Lebensstandard vieler Betroffener kann bei richtiger Behandlung durchaus als gut bezeichnet werden“, so Sator-Katzenschlager.
Leben mit Vorurteilen
„Das Tükische an der Erkrankung ist ihre schlechte Objektivierbarkeit“, weiß auch Helga Burger von der Selbsthilfegruppe Fibromyalgie Salzburg. Viele Betroffene laufen von einem Arzt zum nächsten, um eine Erklärung für ihr Leiden zu erhalten und mit der Hoffnung auf Erleichterung. Stattdessen ernten sie mitunter abschätzige Blicke und Misstrauen. Viele klagen, dass sie als Simulanten abgestempelt würden.
Da medizinische Befunde keine Auffälligkeiten anzeigen, müssen Betroffene darum kämpfen, ernst genommen zu werden. Ein Umstand, der das Leiden weiter verstärkt. „Da auch die Psyche in diese Erkrankung mit hineinspielt, fürchten manche Betroffenen, dass sie als psychisch krank abgestempelt werden“, so Sator-Katzenschlager.
Christine Schnaubelt von der PatientInnen-Initiative zur Mitarbeit und Mitgestaltung im Gesundheitswesen und selbst Betroffene: „Leider ist dieses Krankheitsbild so allumfassend in der Symptomatik, sodass auch die Bevölkerung nicht damit umgehen kann. Selbst in der eigenen Familie werden Patienten häufig als Simulanten, Weichlinge, als hysterisch und lebensunfähig abgestempelt. Patienten sollen mit ihren Beschwerden ernst genommen werden. Sollte ein Arzt damit überfordert sein, möge dieser so ehrlich sein und gleich sagen, dass er in dieser Sache nicht kompetent ist und den Patienten an eine entsprechende Stelle weiterleiten. Jeder von uns möchte respektiert, geachtet und wertgeschätzt werden und so ist es auch im Verhältnis Arzt-Patient.“
Selbsthilfegruppen als Anlaufstelle
Sator-Katzenschlager empfiehlt Patienten neben der medizinischen Behandlung den Austausch mit anderen Betroffenen. Auch Schnaubelt ist von der Sinnhaftigkeit der Teilnahme an Selbsthilfegruppen überzeugt: „In einer Selbsthilfegruppe lernen Patienten, dass das Leben wieder lebenswert sein kann. Man lernt auch wieder zu lachen und kann sogar gemeinsame Freizeitaktivitäten in Angriff nehmen.“
Dr. Thomas Hartl
April 2012
Foto: Bilderbox