In der Geschichte der modernen Pharmazie gibt es kein Medikament, das
einen größeren Boom und eine breitere Diskussion ausgelöst hat. Viagra
feiert mittlerweile seinen siebten Geburtstag — Zeit für eine kleine
Bilanz. Das "blaue Wunder" ließ nicht nur die Aktienkurse der
Erzeugerfirma Pfizer in die Höhe schnellen. Die Erektionspille sorgte
auch dafür, dass heute über die Männerkrankheit erektile Dysfunktion
offener gesprochen werden kann. Und sie half millionenfach.
Die Erfolgsgeschichte begann offiziell am 27. März 1998. An diesem Tag erteilte die U.S. Food and Drug Administration die Zulassung für eine Substanz namens Sildenafilcitrat, die unter dem Markennamen Viagra bei erektiler Dysfunktion helfen sollte. Sildenafilcitrat war zuvor als Herz-Kreislauf-Mittel getestet worden. Dabei wurde als Nebenwirkung eine deutlich erektionssteigernde Wirkung festgestellt. Als Viagra im Oktober 1998 auch in Österreich zugelassen wurde, war es weltweit längst ein Renner – in den Medien wie auf dem Schwarzmarkt. Auch die Welt der Wissenschaft zollte der blauen Pille Tribut: Innerhalb weniger Jahre brachte es der Wirkstoff Sildenafilcitrat zu rekordverdächtigen 1.300 wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Sildenafilcitrat wirkt als so genannter Phosphodiesterase-Hemmer. Vereinfacht dargestellt führt es zum Erschlaffen der Schwellkörper-Muskulatur. Die gewünschte Folge: Es kommt mehr Blut in den Penis, die Erektion verstärkt sich. Viagra wirkt als Erektionsverstärker und setzt im Gegensatz zu anderen Abhilfen bei erektiler Dysfunktion eine sexuelle Erregung voraus. Das heißt: Bei Impotenz, die auf psychische oder partnerschaftliche Probleme zurückzuführen ist, wirkt das Medikament nicht.
Erste Studien mit mehr als 3.000 Probanden zwischen 19 und 87 Jahren zeigten durchschlagenden Erfolg: Je nach Dosierung gab es bei 63 bis 82 Prozent der Patienten eine spürbare Verbesserung. Doch nach der ersten Euphorie über die neue Wunderpille für den Mann gab es bald Meldungen über ernste Nebenwirkungen. Vor allem im Zusammenwirken mit Nitroglycerin- Präparaten, die bei Herzerkrankungen eingesetzt werden, kann das zu gefährlichen Situationen führen. Im Extremfall bleibt als tödliche Nebenwirkung der Potenzpille auch das Herz stehen. Dazu passend eine Warnung: Viagra ist ein Medikament und sollte nur nach Absprache mit einem Arzt genommen werden. Univ.-Doz. Prim. Dr. Helmut Heidler, der Leiter der urologischen Abteilung am Linzer AKH: "Vor Selbstmedikation etwa mit Medikamenten aus dem Internet kann nur gewarnt werden. Aber meiner Einschätzung nach ist der Österreicher ohnehin kein Experimentierer." Auch andere Nebenwirkungen von Viagra sind bekannt: etwa Kopfschmerzen und ein leicht ins Bläuliche verschobenes Farbsehen, das nach einigen Stunden wieder vergeht.
Tabu aufgebrochen
Viagra und seine mittlerweile auf den Markt gekommenen Nachkommen Cialis und Levitra haben auch positive Nebenwirkungen: Das bis dahin weitgehend tabuisierte Thema der erektilen Dysfunktion ist zum öffentlichen Gesprächsstoff geworden. Dozent Helmut Heidler: "Viele Betroffene haben gesehen, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. Sie haben den Mut für den Weg zum Arzt gefunden. Von vielen Beziehungen ist enormer Leidensdruck genommen worden. Auch in Partnerschaften wird nun offener über das Problem gesprochen." Erektionsstörungen werden nun von vielen als das gesehen, was sie sind: eine Krankheit wie Bluthochdruck oder Diabetes.
Nach einem OGH-Urteil darf die soziale Krankenversicherung die Kosten für Viagra und seine Nachfolgepräparate als Mittel gegen Erektionsstörungen nicht mehr übernehmen. Das Urteil lehnt sich dabei an den sehr engen Krankheitsbegriff des ASVG an. Bisher konnten die Krankenkassen die Kosten unter gewissen Umständen (etwa nach Operationen im kleinen Becken) übernehmen.
Heinz Macher
April 2006
Foto: Bilderbox, privat
Kommentar
Univ.-Doz. Prim. Dr. Helmut Heidler
Leiter der urologischen Abteilung am Linzer AKH