„Als Adhärenz bezeichnet
man den Grad der Übereinstimmung des Verhaltens des Patienten mit dem Konsens,
den der Patient mit dem Verhandler vereinbart haben“, stellte Univ.-Prof. Dr. Fritz
Leutmezer, Spezialist für Multiple Sklerose (MS) an der neurologischen
Universitätsklinik in Wien im AKH (MedUni Wien). Das bedeutet in schlichten
Worten, dass der Patient die vom Arzt verordneten Medikamente nach dessen
Vorgaben genau einnehmen soll.
Dabei bestimmen patienten-spezifische Faktoren (Alter etc.), Umstände der Therapie (ist eine Wirkung spürbar?) und externe Faktoren (Art der Patienten-Arzt-Beziehung, Gesundheitssystem, Einnahmemodus etc.) die anhaltende oder die nicht vorhandene Therapietreue der Betroffenen, so der Experte.
Multiple Sklerose als Beispiel
Die Multiple Sklerose – es gibt rund 12.000 Betroffene in Österreich – ist ein gutes Beispiel: Ein Gutteil der verwendeten immunmodulatorischen Arzneimittel (Medikamente, die das Immunsystem beeinflussen, z.B. Beta-Interferon, Glatirameracetat) müssen unangenehmerweise regelmäßig selbst injiziert werden. Dabei spürt der Patient keine direkt positiven Wirkungen. „Der Therapieeffekt ist schwer nachvollziehbar“, sagte der Neurologe. Die immunmodulatorische Therapie bei der MS, die darauf abzielt, akute Krankheitsschübe möglichst zu verhindern, soll in einem Zeitraum von Jahren und Jahrzehnten bewirken, dass möglichst keine Invalidität auftritt, also der Patient nach zehn oder 20 Jahren noch nicht auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Doch leider ist auch bei der chronischen Erkrankung MS die Therapietreue recht gering. Aus klinischen Studien mit Patienten, die in Behandlung mit Beta-Interferonen stehen und mit an sich schon genauer Kontrolle, waren die Probanden zu zwölf bis 45 Prozent nicht „therapietreu“. Das hat enorme Auswirkungen: Nicht angewandte Arzneimittel können naturgemäß keinen Effekt haben – die Kosten sind dennoch anhaltend hoch. „Die Therapiekosten bei der Multiplen Sklerose betragen zwischen 10.000 und 65.000 Euro pro Jahr.“ Zu fordern sei wahrscheinlich eine österreichische Untersuchung zur Therapietreue, so die APA.
Bei neuen Medikamenten besonders problematisch
Je innovativer die Therapieprinzipien sind, desto schlimmer wirkt sich eine fehlende Therapietreue aus. „In den OECD-Mitgliedsländern ist die Lebenserwartung zwischen 2000 und 2009 durchschnittlich um 1,74 Jahre gestiegen. Innovative Arzneimittel tragen dazu zu 73 Prozent bei. Die Krebssterblichkeit ist in Österreich zwischen 1990 und 2011 um 22 Prozent gesunken. Im gleichen Zeitraum waren es im OECD-Schnitt nur 14 Prozent. Wir liegen in der Versorgung der Krebspatienten unter den ersten drei Ländern“, erklärte der Generalsekretär des Verbandes der pharmazeutischen Industrie (PHARMIG), Jan Oliver Huber, gegenüber der APA.
Ein anderes Beispiel für den entscheidenden Beitrag der Therapietreue zum Behandlungserfolg ist bei der chronischen Herzschwäche zu erkennen. Erst vor wenigen Tagen haben österreichische Kardiologie-Experten erklärt, dass eine adäquate Therapie die durchschnittliche Lebenserwartung der Patienten praktisch verdoppelt. Doch nur ein Teil der Betroffenen nimmt die verschriebenen Medikamente ein. Eine Studie des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger hat ergeben, dass nur 50 Prozent der Betroffenen zu 80 Prozent ihre Tabletten einnehmen. Sehr ähnlich ist das auch bei den Betroffenen von psychischen Erkrankungen, wenn die Therapie häufig schon nach der ersten Packung abgebrochen wird und dadurch der Erfolg in Frage gestellt wird.
Mag. Christian Boukal
Juli 2014
Foto: APA