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Alte Frau isst

Übergewicht und Depression

Die beiden Volksleiden Übergewicht und Depression treten häufig gemeinsam auf, und das ist kein Zufall. Übergewicht kann eine Depression nach sich ziehen und eine Depression kann zu Übergewicht führen. Die Ursachen und wechselseitigen Zusammenhänge sind psychischer und auch körperlicher Natur.  

Übergewicht und Depressionen haben viele Zusammenhänge und Wechselwirkungen. „Diese bestehen sowohl auf psychischer Ebene als auch auf biologischer (körperlicher) Ebene. Beide Ebenen existieren nicht getrennt voneinander, auch psychische Phänomene beruhen auf biologischen Prozessen im Gehirn. Einige Vorgänge sind geklärt, andere noch nicht“, sagt Univ. Prof. Dr. Hans Rittmannsberger. 

Psychische Zusammenhänge 

Ein Teil der Übergewichtigen leidet unter ihrem Gewicht. Sie möchten schlanker sein, fühlen sich deshalb schlecht und schämen sich für ihr Aussehen. Manche von ihnen werden depressiv und aus dem Frust heraus essen sie noch mehr. (Das trifft jedoch nur auf einen Teil der Depressiven zu. Viele Depressive verlieren zunächst an Gewicht. Mit der Einnahme von Antidepressiva kann es aber wieder zu Gewichtszunahme kommen.)

Die Depression führt oft dazu, dass Betroffene immer weniger Aktivitäten setzten und sich immer weniger bewegen. Die Stimmung sinkt weiter, aus Frust und einer inneren Leere heraus wird wiederum zu viel gegessen, im Laufe der Zeit entsteht dann häufig Übergewicht und auch Adipositas (Fettleibigkeit). 

Körperliche Zusammenhänge 

Die biologischen Mechanismen, die ein Zusammenspiel zwischen Übergewicht und Depression bewirken, sind höchst vielfältig. Im Folgenden sind einige Zusammenhänge skizziert: 

Fettgewebe als Ursache für Depression 

Eine Depression kann auch auf körperlicher Ebene verursacht werden. So hat man das Fettgewebe selbst als Ursache für Depressionen identifiziert. Vor allem das viszerale Fett (Bauchfett) ist biologisch hochaktiv und produziert Botenstoffe.

Bei Menschen mit Depressionen konnten Forscher zweifelsfrei erhöhte Zytokinwerte feststellen. Und depressive Patienten, die zusätzlich adipös waren, zeigten die höchsten Konzentrationen bestimmter Zytokine. Besonders bei Menschen mit viel Bauchfett sind die Zytokinspiegel erhöht. „Die vermehrte Ausschüttung von Zytokinen im Fettgewebe könnte erklären, warum adipöse Menschen häufiger an Depressionen erkranken als Normalgewichtige“, sagt Rittmannsberger.

Der biologische Vorgang, der dabei abläuft, ist einigermaßen kompliziert, vereinfacht dargestellt: Fettgewebe erzeugt Zytokine (Entzündungsmediatoren). Ein Effekt von diesen ist es, „Krankheitsverhalten" auszulösen – eben die Abgeschlagenheit und Energielosigkeit, die wir verspüren, wenn wir uns krank fühlen, ein Zustand, der viel mit der Depression gemein hat. Außerdem machen sie Tryptophan vermindert zugänglich, das wiederum ein Vorläufer des Nervenbotenstoffs Serotonin ist, der für gute Stimmung sorgt. Wenig Tryptohan bedeutet wenig Serotonin, wenig Serotonin wiederum ist ein Kennzeichen einer Depression. Die vermehrte Produktion von Zytokinen im Fettgewebe führt also zur Ausschüttung von Botenstoffen im Gehirn, die die Verfügbarkeit von Serotonin senken können.

 

Weitere biologische Erklärungen für den Zusammenhang von Depressionen und Übergewicht:


  • Leptin: Bauchfett produziert auch den Botenstoff Leptin, der eigentlichh den Appetit reduziert und die Stimmung verbessert. Im Laufe der Zeit bilden sich Resistenzen und Leptin verliert diesen Effekt.
  • Es wird vermutet, dass auch die bakterielle Zusammensetzung der Darmflora Depressionen verursachen kann.
  • Stress in der frühen Kindheit und chronischer Stress erhöhen langfristig die Zytokine und das Verlangen nach hochkalorischer Nahrung.

 

Zusammenhänge Körper-Psyche 

Wie sehr Körper und Psyche zusammenhängen, zeigt beispielhaft folgender Vorgang vereinfacht: Ist eine Person dauerhaft gestresst, steigt ihr Cortisolspiegel an. Dies führt zu einer Vermehrung von viszeralem Fett (Bauchfett), denn Cortisol beeinflusst den Stoffwechsel dahingehend, dass er vermehrt viszerales Fett speichert. „Dieses Fett wiederum führt zur Freisetzung von Zytokinen, die Krankheitsverhalten fördern und Serotonin vermindern und dadurch steigt das Depressionsrisiko. Dauerstress kann also zu Übergewicht führen. Und: Fettgewebe selbst bildet wiederum Cortisol – was wiederum das Depressionsrisiko erhöht“, sagt der Psychiater. Dieser Vorgang gilt nur bei chronischen Stress, gegen fallweisen akuten Stress ist der Mensch biologisch gut gerüstet.

Dass die Ernährung auch die Stimmung beeinflusst, zeigt folgendes Beispiel anhand des Kohlenhydratstoffwechsels: Schokolade schmeckt nicht nur gut, sie verbessert auch die Stimmung. Denn Schokolade führt zu einer Insulinausschüttung, wodurch im Gehirn mehr Tryptohan aufgenommen wird, das für mehr Serotonin und damit Glücksgefühlen sorgt. Eine Kohlenhydratbombe (Naschereien aller Art) verbessert also kurzfristig die Stimmung. Das Problem: Wer zu viel und zu oft nascht, nimmt Gewicht zu. Ein Teufelskreis beginnt. Durch häufiges Naschen entwickelt der Körper mit der Zeit eine Insulinresistenz, das bedeutet, dass die Wirkung (gute Gefühle) beim Naschen schwächer wird. Um bessere Stimmung zu bekommen, muss man immer mehr Kohlenhydrate (Schokolade etc.) konsumieren und das Gewicht steigt weiter an. 

Antidepressiva und Übergewicht 

Ein direkter Zusammenhang von Depression und Übergewicht kann auch aus der Behandlung von Depressionen resultieren. Denn manche Antidepressiva führen zu Gewichtszunahme, weil sie appetitanregend wirken – vor allem der Hunger auf Kohlenhydrate steigt häufig. 

Maßnahmen für Betroffene 

Bei einer Depression werden Psychotherapie und/oder Antidepressiva empfohlen. Welche Maßnahmen kann man zusätzlich setzen, wenn man depressiv und zudem übergewichtig ist? Betroffene können selbst folgendes tun:


Ernährungsumstellung: In den meisten Fällen hilft eine generelle und langfristige Umstellung der Ernährungsgewohnheiten. „Zum einen gilt es weniger Kalorien zu sich zu nehmen, zum anderen die richtigen Kalorien“, sagt Rittmannsberger. Er rät von Diäten ab, da diese letztendlich über den Jo-Jo-Effekt zu noch mehr Gewicht führen. Er empfiehlt mediterrane Kost.

Bewegung: Auch wenn es stark übergewichtigen und depressiven Menschen meist sehr schwer fällt, sich zu bewegen, so sollte man sich unbedingt dazu überwinden. Jede Art von Bewegung ist hilfreich. Es muss nicht immer gleich Joggen oder gar Laufen sein. Auch Spazierengehen ist gut, man kann dann mit der Zeit auf Nordic Walking umsteigen und, wenn es einem guttut, später mit Joggen weitermachen. Disziplin ist nötig, um sich regelmäßig zu bewegen. „Manchen fällt das sehr schwer, andere wiederum erkennen sehr bald die heilsame Wirkung von Bewegung“, so Rittmannsberger.

Medikamentenwechsel: Bei Depression kann ein Medikamentenwechsel dazu beitragen, Übergewicht zu reduzieren, wenn es (auch) auf appetitanregende Antidepressiva zurückzuführen ist. Es gibt viele Antidepressiva, bei denen diese unerwünschte Nebenwirkung kaum oder gar nicht auftritt.

 

Dr. Thomas Hartl

Mai 2016


Foto: shutterstock



Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020