Die Ureinwohner Mittelamerikas, die ersten und für viele Jahrtausende einzigen Erdäpfelbauern, sollen bis zu 1.000 verschiedene Namen für die Knolle gehabt haben – nicht alle davon schmeichelhaft.
Je nach Form und Sorte nannten sie sie „Kuhzunge“ oder „Meerschweinchen-Fötus“, „rote Gurke“ oder „die, welche die junge Braut weinen lässt“ – dem Vernehmen nach eine besonders schwer schälbare Sorte.
Allen Diffamierungen und Zubereitungsproblemen zum Trotz sind Mensch und Kartoffel einander aber treu geblieben. In den vergangenen 400 Jahren legte die Knolle eine ganz beachtliche Karriere hin: Von einem obskuren Produkt aus den entlegensten Winkeln der Anden brachte sie es zum weltweit meistangebauten Gemüse.
Bis zu 5.000 verschiedene Sorten sind heute bekannt – auch in Österreich gibt es mittlerweile wieder mehr am Markt, als die fade Supermarkt-Zweiteilung in „mehlig“ und „festkochend“ vermuten lassen würde: von der blauen Trüffel, die herrlich nussig schmeckt, über die Linzer Delikatesse mit leichter Spargelnote bis hin zur erdigen Zyklame. Generell gilt: Je länglicher, desto festkochender, je runder, desto mehliger ist die Knolle.
Erstmals kultiviert wurde die Kartoffel wohl vor etwas mehr als 10.000 Jahren von Vorfahren der Inkas in den Anden. Kartoffeln sind äußerst anspruchslos und wachsen bis auf 4.500 Meter Seehöhe – sie waren damit eines der wenigen Dinge, die in den rauen Berggegenden gediehen. Gegessen wurde sie wohl gefriergetrocknet, pulverisiert und dann als Brei aufgekocht. Trotz dieser Misshandlung breitete sich die Kartoffel von den Anden in den folgenden Jahrtausenden in Südamerika aus.
Im 16. Jahrhundert kam sie über spanische und britische Händler erstmals nach Europa und tat sich hier zunächst schwer, Fuß zu fassen – auch wegen eines Missgeschicks. Als der Koch der englischen Königin Elisabeth I. die neue Pflanze erstmals geschenkt bekam und für eine Party bei Hof zubereitete, schmiss er die erdigen Knollen weg und verkochte stattdessen die giftigen Stängel und Blätter. Es folgten Bauchschmerzen und ein hartnäckig schlechter Ruf als ungenießbares Viehfutter. Erst im 18. Jahrhundert setzte sich die Kartoffel in Europa als günstiges, gesundes Essen der Armen langsam durch und ermöglichte in denkommenden Jahrzehnten eine Bevölkerungsexplosion und, darauf aufbauend, die industrielle Revolution.
Tobias Müller
September 2017
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