„Wie hieß das Lokal in dem wir vorgestern zum Essen waren?“ – Anzeichen von Alzheimer oder nur stressbedingte Vergesslichkeit? „Das Gehirn lässt sich auch mit 80 noch trainieren, wenn auch ein bisserl langsamer“, sagt die Salzburger Gedächtnistrainerin und Klinische Psychologin Monika Puck. Und: Gedächtnistraining hilft in jedem Alter sein Gehirn effizienter zu nutzen.
Körperliche und geistige Fitness bis ins hohe Alter wünschen wir uns alle. Überforderung genauso wie Langeweile ermüden das Gehirn. Die Reizüberflutung Tag für Tag, Schlafmangel, Stress, Hektik, falsche Kost und der Druck sich etwa unzählige Details und Dinge merken zu müssen, können das Oberstübchen (über)fordern. Wie bei den Muskeln gilt auch für das Gehirn „Use ist oder loose ist.“ Neugierig bleiben im und auf das Leben, immer wieder etwas Neues lernen, reisen, soziale Kontakte sowie Ruhephasen nach Zeiten der Anspannung tun der Fitness unseres Oberstübchen gut. Auch wenn man sich im Alter vielleicht an weit Zurückliegendes besser erinnern kann als an das, was man gestern gegessen hat, bleibt die Denkfähigkeit in Schwung, solange man sie trainiert.
Wenn Gehirnfunktionen im Alter nachlassen, hat das, sofern jemand nicht an Demenz erkrankt ist, oft mit dem Sauerstoffmangel aufgrund verengter Arterien zu tun. Studien an 80-jährigen Japanern ergaben, dass jene, die noch eine Stunde täglich im Büro Denkarbeit verrichteten, über größere geistige Leistungsfähigkeit verfügten als jene, die sich mit 60 im wahrsten Sinn zur Ruhe setzten und diszipliniertes, zielgerichtetes Denken aufgegeben haben. Denken ist kein passiver Vorgang, es bedeutet sich zu engagieren, zu hinterfragen, wahr- und aufzunehmen, was um einen herum geschieht. Man weiß, dass zum Beispiel regelmäßiger Sport die Produktion von Hormonen fördert, die das Wachstum neuer Gehirnzellen und Zellverbindungen stimulieren. Bei Senioren, die regelmäßig Ausdauer trainierten, zeigte sich im PET-Computertomografen, dass die Areale für das Gedächtnis besser funktionieren als bei sportlich inaktiven Menschen.
Das Oberstübchen will „bewegt“ werden
Einige Aspekte für unsere Brain-Fitness sind wissenschaftlich erwiesen:
- Sport: Vor allem zyklische Bewegung wird als effektiv angesehen. Dazu gehören Walken, Laufen, Radeln, Tanzen und Schwimmen. Drei- bis vier Mal pro Woche eine halbe Stunde mit einer Belastungsintensität, bei der man ins Schwitzen kommt, trainieren. Zyklische Bewegung regt die Aktivität des Hippocampus an – jene Gehirnstruktur, die für Erneuerungsprozesse der Zellen zuständig ist.
- Lebenslanges Lernen: Die Zeitung zu lesen ist zu wenig, man muss sich außerhalb der Komfortzone bewegen, um ein Wachstum der Gehirnzellen anzuregen. Dazu zählt etwa das Lernen einer Fremdsprache, eines Musikinstrumentes, mit dem Computer umzugehen, etc. Vor allem das Üben von Dingen, die man (noch) nicht gut kann, gibt positive Impulse.
- Brainfood: Möglichst frisch geerntet oder gekocht sollen Obst, Kräuter und Gemüse auf den Tisch kommen. Unser Oberstübchen verbraucht etwa 20 Prozent des täglichen Energiebedarfs. Daher muss man unserer Denkzentrale auch guten „Sprit“ zukommen lassen, um geistig wendig zu bleiben. Fisch sollte ein- bis zweimal wöchentlich auf dem Speisenplan stehen, auch Spinat, Brokkoli, Hülsenfrüchte enthalten Stoffe, die unverzichtbar für das Lernen und Erinnern sind. Zwischendurch einmal eine Handvoll Studentenfutter oder Walnüsse knabbern oder Äpfel, Birnen und eine Banane essen. Folsäure (Blattgemüse, Vollkornbrot, Nüsse), Vitamin B6 (Seefisch, Avocado, Leber) und B1 (Fleisch, Sauerkraut, Eier) schützen das Gehirn. Flüssigkeitsmangel mindert die kognitive Leistung, daher etwa eineinhalb Liter Wasser trinken. Ein Glas Wasser auf dem Schreibtisch sollte nie fehlen. Konzentrationsmangel, Kopfweh und Müdigkeit können einen Wassermangel anzeigen. Bei älteren Menschen lässt das Durstgefühl nach, darum muss bei Senioren der Flüssigkeitszufuhr noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.
- Soziale Beziehungen: Mit Freunden Spaß haben, sich in der Familie geborgen fühlen - alle Arten von positiver sozialer Interaktion erhalten die Jugendlichkeit des Gehirns. Arbeit ist nicht alles im Leben, schon während der Berufstätigkeit Hobbies und Freundschaften pflegen, so dass man auch in der Pension ein soziales Netz hat.
Jedem sein Gedächtnistraining
Das Trainieren soll Spaß machen und vielseitig sein. „Ich spiele und übe mit Schülern, Studenten, Managern, mit Erwachsenen zur Gesundheitsvorsorge, mit Senioren und Menschen mit Einschränkungen“, erzählt Monika Puck, Obfrau und Ausbildungsreferentin des Österreichischen Berufsverbandes für Lern- und Gedächtnistraining. Das Gedächtnistraining soll auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt und ressourcenorientiert sein. „Ich setze bei den Stärken an und arbeite über Erfolgserlebnisse, denn mit Begeisterung lernt es sich viel leichter“, sagt die Leiterin der GedächtnistrainingsAkademie in Salzburg. Es geht beim Üben um das Denken, Merken, Abrufen-Können von Inhalten, um die Wortfindung, das Einordnen von Begriffen und Neugelerntem und um die Konzentration. Wer sich zum Beispiel Namen schlecht merken kann, der hört oft nicht gut zu oder nimmt sein Gegenüber schlecht wahr. Mit Eselsbrücken, sprich bestimmten Assoziationen, merkt man sich Namen leichter.
Bei gesunden alten Menschen lässt das Kurzzeitgedächtnis nach und auch die Lerngeschwindigkeit, aber lebenspraktische und soziale Fertigkeiten, Lernfähigkeit und integriertes Wissen bleiben erhalten. Gehirntumor, Schlaganfall, Schilddrüsenunterfunktion, Flüssigkeitsmangel, alles kann sich vorübergehend negativ auf die Gedächtnisfunktion auswirken. Auch depressive Verstimmungen können die Merkfähigkeit beeinträchtigen.
Gute Vernetzung und effiziente Nutzung
Durch Gedächtnistraining kann sich jeder einen Polster an Gehirnzellen anlegen, von dem er zehrt, wenn er etwa durch einen Schlaganfall oder Arteriosklerose eine Beeinträchtigung der Gehirnleistung erleidet. Es geht beim Training vor allem darum, die vorhandenen Gehirnzellen gut zu vernetzen und effizient zu nutzen. Das menschliche Gehirn verändert sich ständig, was man neuronale Plastizität nennt. Bis ins hohe Alter können sich neue Vernetzungen bilden. Die Gedächtnistrainerin schwört zur Erhaltung der geistigen Fitness auf vier „L“s:
- Lebensfreude
- Lachen
- Lernen
- Gut Leben, das heißt gut für sich zu sorgen mit ausgewogenem Essen, genügend Schlaf, Bewegung, Lebenslust und regem Sozialleben.
Puck betont: „Je mehr jemand sein Gehirn beansprucht, desto besser ist das.“ Die Psychologin nennt ein Beispiel, wie jemand seine Merkfähigkeit gut trainieren kann: „Man schaut sich ein Foto gut an und versucht sich Kleidung und Aussehen der Personen sowie den Hintergrund darauf zu merken. Nach 30 Minuten das Gemerkte abrufen und am nächsten Tag noch einmal schauen, was in Erinnerung geblieben ist“. Weitere Übungen für die Hirnleistungen sind zum Beispiel: In einem Zeitungsartikel alle „e“ oder alle „r“ markieren, kurze Gedichte auswendig lernen, aus einem ganz langen Wort neue Wörter bilden, Fehlersuchrätsel lösen etc.
Neue Bedrohung durch digitale Demenz?
Wie und ob die zunehmende Digitalisierung unsere Gehirnleistung negativ beeinflussen kann, ist individuell verschieden. Der Begriff „digitale Demenz“ ist ein neu kreiertes Wortkonstrukt, keine Erkrankung, wie man vermuten könnte. Digitale Demenz meint die Abgabe der eigenen Gedächtniskompetenzen an digitale Hilfsmittel, wie beispielsweise PCs, Handys und Navigationsgeräte. Durch zu wenig Training des Gehirns kann es zu Abbauerscheinungen durch Nichtgebrauch in bestimmten Bereichen kommen. So kennt man heute die Telefonnummern der Familienmitglieder oft nicht mehr, die man früher problemlos aufsagen konnte und im Gedächtnis abgespeichert hatte. Unser Gehirn wird heute anders gefordert und beansprucht als noch vor zehn Jahren. Die Nutzung der digitalen Hilfsmittel ist kein Nachteil, wir müssen dank der vielen Reize und Informationen, denen wir ausgeliefert sind und Dinge, die wir uns merken sollen, unser Gehirn entlasten. Wichtig ist jedoch der kluge Umgang mit den technischen Möglichkeiten. Jeder, der sich nur auf digitale Unterstützung verlässt und selber möglichst wenig bis gar keine Denk- und Merkarbeit leistet, bei dem können bestimmte Gedächtnisfähigkeiten verkümmern und er hat es schwierig, wenn PC und Handy einmal „streiken“.
Vifzack nutzt die digitale Welt kritisch
Hier ein paar Tipps der Gedächtnistrainierin Puck für den Berufsalltag, um der digitalen Demenz vorzubeugen.
- Telefonnummern händisch eintippen: Nummern, die man im Gedächtnis behalten möchte, immer selbst ins Handy eintippen. Natürlich bleiben die Nummern weiterhin im Handy gespeichert, aber durch das Eintippen der Nummer bekommt das Gehirn Wiederholungen, die es zum Merken braucht.
- Navigationsgerät: Sich eine neue Route auch auf der Landkarte anschauen und sich beim Fahren markante Punkte einprägen, damit man beim nächsten Mal auch zum Ziel findet, falls das „Navi“ ausfällt.
- Präsentationen und Vorträge: Die wichtigsten Inhalte sollten auch im Kopf abgespeichert werden und nicht nur auf Powerpoint-Folien stehen.
Mag. Christine Radmayr
Oktober 2017
Bild: shutterstock