Behübschte Fotos statt schmachtender Blicke, Chatroom statt Kaffeehaus, Date statt Verabredung: Im Lauf der Zeit hat sich zwar so manches beim „Anbandeln“ geändert, einiges ist aber gleich geblieben.
Auch wenn Amor mittlerweile gern im Internet surft und dort seine Pfeile verschießt: Schulen, Bälle und Feste, Arbeitsplätze oder Sportvereine eignen sich nach wie vor hervorragend, um den Mann oder die Frau fürs Leben zu finden. „Am Land kommen etwa noch Feuerwehrfeste dazu. Früher wurde auch in Gottesdiensten der eine oder andere Kontakt geknüpft“, sagt die Psychologin Dr. Maria-Theresia Müllner, Leiterin des Zentrums für Familientherapie in Linz. Neu hinzugekommen ist – logo – das Dating im World Wide Web. Aber: „Das Internet hebt die Treffpunkte nicht auf, es ergänzt sie.“
Wirft man einen Blick zurück in Zeiten, als Musik noch aus dem Trichter und dem Kassettenrekorder kam, Handys vorwiegend von Science-Fiction-Helden zum Wegbeamen verwendet und handgeschriebene Briefe statt elektronischer Mails verschickt wurden, so zeigt sich, dass es natürlich Unterschiede zur Jetztzeit gibt. Zum Beispiel den sogenannten Standesdünkel: Man blieb dereinst gern einmal unter sich und seinesgleichen. So gaben sich etwa finanziell Bessergestellte nicht mit jemandem „unter Wert“ ab. Das galt natürlich auch umgekehrt, Stichwort „Großkopferte“. Dazu Dr. Müllner: „Fremdes macht Angst. Man hat keine gemeinsamen Schnittpunkte und verhält sich deshalb abwehrend gegenüber der anderen Klasse.“ Zudem gab es früher auch Kreise, in denen die Eltern bestimmten, wen der Nachwuchs zu ehelichen hatte. „Oft waren das nicht einmal die schlechtesten Ehen“, so Dr. Müllner. Eine wichtige Rolle nahmen und nehmen auch Freunde, Verwandte und Bekannte ein – nämlich dann, wenn sie zwei Singles verkuppeln. Verkuppeln ist auch das Hauptgeschäft von Partnerbörsen, die es schon in Vor-Internet-Zeiten gegeben hat. „Allerdings ist heute der Zugang ein anderer. Früher hatten vor allem Kontaktanzeigen etwas Verruchtes und Gefährliches an sich“, so die Expertin. Heute erregt es keine Gemüter mehr, wenn sich zwei Liebende im Netz ins Netz gegangen sind. „Es ist jetzt allerdings eine Maschine, die uns erklärt, wer zu uns passt, auch wenn sie von Menschen programmiert und mit persönlichen Daten gefüttert wird“, so die Psychologin. Vorteile hat das Online-Dating trotzdem. Zum Beispiel, wenn es um den Faktor Zeit geht. Ist doch das virtuelle Kennenlernen im Gegensatz zum realen viel weniger zeitraubend: Aufwändiges Aufbrezeln und anschließendes Fortgehen entfallen, der Traummann kann gemütlich auf der Couch sitzend gesucht werden. Die Singlebörse schlägt jene potentiellen Kandidaten vor, mit denen man die meisten „Matching-Punkte“ hat, die also angeblich am besten zu einem passen. Dr. Müllner: „Anhand der Vorschläge kann dann eine Liste abgearbeitet werden – passen Größe, Gewicht, Hobbys und Haustier?“ Wenn auch noch das Foto halbwegs in Ordnung ist, steht einem realen Treffen nichts mehr entgegen.
Apropos Foto: Es kann einem der Richtige womöglich auch durch die Lappen gehen. „Wenn mir nämlich das Foto des Gegenübers überhaupt nicht zusagt, hat er wahrscheinlich keine Chance mehr bei mir.“ Und – das ist wiederum das Praktische am Internet – man kann ihn ohne viel Aufhebens und langwierige Erklärung per Knopfdruck löschen und ins virtuelle Nirwana schicken. Andersrum kann es aber auch passieren, dass sich der fesche Foto-Traumprinz in natura als schleimiger Frosch herausstellt. „Es fehlt eben die körperliche Ebene im Internet“, betont die Psychologin. „Es macht einen Unterschied, ob mir jemand im Kaffeehaus gegenübersitzt oder irgendwo im Chatroom herumschwebt. Wenn ich jemanden zum Beispiel im wahrsten Sinn des Wortes nicht riechen kann, werde ich mir kein zweites Treffen mehr ausmachen.“ Das persönliche „Anbandeln“ bleibt aber trotz Internet nicht aus – es passiert nur zeitverzögert.
Ansprechen
Kommen wir nun zur Etikette. Ist es noch immer so, dass das Ansprechen von Männern nur bestimmen Damen vorbehalten ist? „Offiziell haben früher die Männer den ersten Schritt gemacht“, so die Psychologin. „Für Frauen war es nicht schicklich. Sie haben aber Männer trotzdem, etwa mit Blicken, umgarnt.“ Jetzt dürfen Frauen auch „amtlich“ auf Männer zugehen. „Sie stehen heute dazu, dass sie ein bestimmter Mann interessiert. Und sie haben deshalb auch keine vernichtenden Urteile des gesellschaftlichen Umfelds mehr zu erwarten. Frauen haben gelernt, dass sie etwas dafür tun müssen, dass sie den kriegen, den sie wollen. Das haben sie früher zwar auch schon gewusst, konnten es aber nicht so offen angehen.“ Trotzdem: Auch heute ist noch dann und wann abwertend zu hören: „Die hat schon gewusst, wie sie ihn um den Finger wickeln kann.“ Manches ändert sich eben nie.
Auch gibt es keine strengen Benimmregeln mehr. Das angeblich starke Geschlecht muss dem vermeintlich schwachen nicht zwangsläufig die Tür aufhalten, im Restaurant bezahlen oder in den Mantel helfen. „Natürlich ist es auch heute noch ein Akt der Höflichkeit, aber es ist kein Muss mehr. Und es macht auch nichts, wenn eine Frau einem Mann die Tür aufhält und ihm den Vortritt lässt“, so die Expertin.
„Das Leben ist Veränderung. Auch das ,Anbandeln‘, und damit, was erlaubt und schicklich ist, unterliegt Wellenbewegungen. Das sieht man zum Beispiel daran, dass es wieder junge Paare gibt, die bis zur Hochzeitsnacht auf das erste Mal warten“, so Dr. Müllner. Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber – Hand aufs Herz – welche Frau freut sich nicht, wenn der Angebetete ganz „old school“ mit echten Rosen antanzt, statt Bussi schickende Emojis zu versenden?
Cornelia Schobesberger
November 2018
Bilder: shutterstock, privat
Kommentar
Dr. Maria-Theresia Müllner, Leiterin des Zentrums für Familientherapie und Männerberatung in Linz