Cannabinoide finden seit einigen Jahren Eingang in die Schmerztherapie. Ihre Verwendung lässt viele Menschen fälschlicherweise an Drogen denken und an das Rauchen von Cannabis. Medizinische Cannabinoide können zwar das berauschende THC enthalten, richtig dosiert wird man aber nicht high.
Die Wirkung von Cannabinoiden beruht auf dem sogenannten Endocannabinoid-System (ECS). Das ist ein Signalsystem, eine Kommunikationsform des Körpers auf zellulärer Ebene. Cannabinoide entfalten ihre Wirkung vor allem über die Rezeptoren CB1 und CB2. Rezeptoren sind Bindungsstellen für chemische Botenstoffe. Sehr vereinfacht dargestellt: Einen Rezeptor kann man sich als Schloss vorstellen und das Cannabinoid als Schlüssel. Wie Legosteine docken die Botenstoffe (Cannabinoide) an den Zellen an, falls der Schlüssel (Cannabinoid) ins Schloss (Rezeptoren) passt. Durch dieses Andocken wird eine Nachricht übermittelt, die Körperzelle erhält eine Anweisung und Reaktionen werden ausgelöst. Als Schlüssel dienen sowohl körpereigene als auch von außen zugeführten Cannabinoide (Medikamente, Joint).
Körpereigene Cannabinoide, sogenannte Endocannabinoide, sind im Körper eines jeden Menschen vorhanden. „Sie sind Teil des Endocannabinoid-Systems. Man könnte dieses entwicklungsgeschichtlich sehr alte System als eine Art Feintuningsystem betrachten, das im Körper viele Vorgänge ausgleicht und in Balance hält“, sagt Dr. Birgit Kraft, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin. Dabei übernimmt dieses System eine Vielzahl an Aufgaben, wie etwa:
- Blockierung der Schmerzweiterleitung
- Schutz vor Stress; das System hilft bei der Stressverarbeitung, wirkt ausgleichend auf die Psyche
- es reguliert den Appetit ebenso wie Stoffwechselvorgänge in der Leber
- es reduziert einen hohen Muskeltonus
- es kann Angst mindern
- es wirkt auf das Langzeitgedächtnis und fördert das Vergessen; ein Vorgang, der möglicherweise bei chronischen Schmerzen sehr nützlich ist, da chronische Schmerzen quasi erlernt werden und Cannabinoide solchen negativen Konditionierungen entgegenwirken können
- es wirkt überschießenden Entzündungsreaktionenen im Zentralnervensystem entgegen; das spielt etwa bei Multipler Sklerose eine große Rolle
Dieses so nützliche ECS kann durch Krankheiten gestört werden. Kraft: „Eine Veränderung im ECS kann aber nicht nur Folge von Erkrankungen sein, sondern möglicherweise auch deren Ursache. Das ist aktuell Gegenstand der Forschung.“
Wirkungen von Cannabinoiden
Zu den konkreten Wirkungen von Cannabinoiden gibt es noch wenig wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, da diese erst seit wenigen Jahren gezielt untersucht werden. Da immer mehr Schmerzmediziner ihre Patienten auch mit Cannabinoiden behandeln und dabei oft gute Ergebnisse erzielen, sind die Wirkungen im medizinischen Alltag durchaus belegt. Diese Wirkungen sind im Wesentlichen:
Schmerzlinderung: Die meisten Patienten, die sich Cannabinoide als Therapie wünschen, tun dies wegen einer erhofften Schmerzlinderung. Eine Schmerzreduktion ist zwar durchaus möglich, doch sollte man sich keine Wunder erhoffen und völlige Schmerzfreiheit erwarten; die durchschnittliche Schmerzreduktion liegt bei 30 Prozent.
Distanzierung: Cannabinoide bewirken, dass man die Schmerzen nicht mehr als so „tragisch“ empfindet und dass man mit dem Schmerz besser umgehen kann. Sie nehmen den Stress und die Spannung aus der eigenen (schmerzhaften) Lebenssituation. Man wird entspannter und ruhiger, stabilisiert sich und kommt möglicherweise wieder besser mit dem Leben zurecht.
Besserer Schlaf: Viele chronische Schmerzpatienten schlafen schlecht. Schlechter Schlaf senkt die Schmerzschwelle und macht schmerzempfindlicher. Cannabinoide verhelfen zu besserer Schlafqualität.
Die erwünschten Wirkungen treten nur bei rund der Hälfte der Patienten auf. Medizinische Cannabinoide machen nicht süchtig, es tritt auch keine psychische Abhängigkeit ein. Ein Absetzen der Medikamente bereitet in der Regel keine Probleme, dennoch sollte man zur Vorsicht diese langsam absetzen („ausschleichen“).
THC und CBD
Cannabinoide als Medikamente werden mit THC (Tetrahydrocannabinol) und/oder Cannabidiol (CBD) angeboten. CBD hat keine psychotrope Wirkung, denn hier wird der nicht psychoaktive Teil der Cannabispflanze verarbeitet. Man wird davon also nicht „high“, sondern spürt lediglich eine beruhigende Wirkung auf den Körper.
Am THC scheiden sich die Geister. Die Diskussion um Cannabinoide dreht sich oft nur um diese psychoaktive Substanz. Die chemische Verbindung, der die berauschende Wirkung zugesprochen wird, verleiht dem Thema die Würze und den polarisierenden Charakter. THC wirkt vor allem auf den zentralen Cannabinoid-Rezeptor 1, die eine psychotrope (bewusstseinsverändernde) Wirkung auslösen können. „Einen Rausch bekommt man jedoch nur inhalativ, also wenn man Cannabis raucht und nicht, wenn man Medikamente mit THC in der richtigen Dosierung einnimmt. Beim Rauchen kann die Anflutung über Lunge zum Gehirn 20-mal schneller und die Dosierung um das 10-fache höher sein. Wenn man medizinisches THC oral einnimmt, gibt es keinen Rausch“, sagt Dr. Martin Pinsger, Schmerzmediziner in Bad Vöslau.
Medikamente
In Österreich stehen verschiedene Medikamente (mit oder ohne THC) zur Verfügung, die jedoch nur dann verordnet werden dürfen, wenn andere Medikamente keinen Therapieerfolg erbracht haben. Die Kosten der Medikamente sind zum Teil erheblich und müssen in der Regel von den Patienten selbst getragen werden. Bei Patienten mit schweren Krebserkrankungen oder Multipler Sklerose werden die Kosten einer Therapie mit Dronabinol in der Regel von den Krankenkassen übernommen, da hier die Wirkung von Dronabinol am besten wissenschaftlich belegt ist. Bei anderen Erkrankungen und Beschwerden fehlen die notwendigen Studien oft, so dass jeder Fall einzeln geprüft und entschieden werden muss.
Die Kosten einer Cannabidiol (CBD)-Therapie werden im Allgemeinen nicht übernommen, da es kaum Studien gibt, die die medizinische Wirkung belegen können. Demgegenüber stehen die hohen Kosten: Eine Therapie mit CBD kostet etwa 1.000 Euro monatlich oder mehr.
Geschäft mit Cannabidiol (CBD)
Cannabinoide sind in Österreich für medizinische Zwecke per Rezept in Apotheken erhältlich. Darüber hinaus gibt es CBD in Hanfshops und im Internet in allen möglichen Formen frei zu kaufen. CBD ist legal, enthält kein „berauschendes“ THC und somit ist es kein Suchtmittel. Es gilt in Österreich als Nahrungsergänzungsmittel. CBD ist, neben seiner Wirkung gegen Epilepsie, schmerzstillend, fördert den Schlaf und wirkt entzündungshemmend. Die Nachteile: Der Inhalt wird von keiner Behörde überprüft und es gibt keine Garantie, dass exakt das enthalten ist, was auf dem Etikett versprochen wird. Zudem sind diese Produkte meistens sehr gering dosiert, sodass man für eine effektive Schmerztherapie (ab 400 mg/Tag) sehr viel von diesen Tropfen kaufen müsste. „Im Endeffekt besteht die Gefahr, dass sich viele die teuren Tropfen kaufen, diese aber nur eine Placebo-Wirkung entfalten können, weil die Dosierung oft viel zu gering sein dürfte“, sagt die Wiener Schmerzmedizinerin. Die Hanfshops dürfen bei gesundheitlichen Problemen auch nicht beraten oder Dosierungsempfehlungen abgeben.
Mythen um Cannabis
Häufig ist die Meinung zu hören, dass nur der Konsum der ganzen Pflanze in Form von Cannabis-Rauchen („Joint“) die möglichen Heilwirkungen der Pflanze voll zur Geltung bringt und den einzelnen Effekten isolierter medizinischer Präparate überlegen sei. „Diese Behauptung wurde bisher nicht wissenschaftlich untersucht, es gibt daher auch keine Belege oder gar Beweise, dass dem so ist. Bezüglich Cannabis und Cannabinoiden gibt es jede Menge unbewiesener Meinungen und Mythen“, sagt Kraft.
Belegt sind jedoch einige Nachteile des Rauchens von Cannabis: Bei dieser Art des Konsums lässt sich die Dosis nicht exakt bestimmen, meist wird mit einem Joint ein Vielfaches der Wirkstoffmenge einer Tablette konsumiert. Der Anteil an Schadstoffen wie z.B. Teer und Kohlenmonoxid ist sogar höher als beim Zigarettenrauch. Da beim Rauchen die Wirkung zudem sehr rasch eintritt, kann es zu Psychosen kommen. Das Rauchen von Cannabis erhöht zudem die Gefahr eines Herzinfarktes durch eine schnelle und direkte Wirkung auf das Herz und die Blutgefäße deutlich.
Dr. Thomas Hartl
November 2018
Bild: shutterstock