Erkrankt ein Familienmitglied und steht Betreuung oder Pflege an, bedeutet das für alle Betroffenen gravierende Veränderungen. Eine Pflegesituation stellt Partner und Familien oft vor schwierige Situationen und Entscheidungen.
Schlaganfall, Demenz, Krebs oder einfach Gebrechlichkeit im Alter. Die Ursachen, die aus einem gesunden Menschen einen Pflegefall machen sind vielseitig und oft unvorhersehbar. Die Anzahl der Pflegebedürftigen steigt ebenso wie die Dauer der Pflege, die 15 Jahre und mehr andauern kann.
Gepflegt wird vorwiegend zu Hause
Pflege in Österreich geschieht überwiegend durch Angehörige. Rund 70 Prozent der Pflegeleistungen werden zu Hause durchgeführt. Pflege ist vorwiegend weiblich. „Laut einer neu veröffentlichten Angehörigenstudie des Sozialministeriums werden 73 Prozent der Pflegeleistungen in der häuslichen Pflege von Frauen erbracht“, sagt Stefanie Weigerstorfer, BA, von der Servicestelle Pflegende Angehörige der Caritas für Betreuung und Pflege in Linz.
Rund fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung sind pflegebedürftig. Pflegende Angehörige sind meist zwischen 50 und 60 Jahre alt, rund ein Drittel sind gleichzeitig berufstätig. Weigerstorfer zur Situation berufstätiger pflegender Angehöriger: „Wenn möglich, sollte man seine berufliche Arbeit aufgrund der eingegangenen Pflegeverpflichtungen nicht zur Gänze aufgeben. Denn einerseits ist man auf das Einkommen meist angewiesen, andererseits verschafft die Zeit im Büro auch einen gewissen Freiraum von der oft sehr belastenden Pflegesituation daheim.“
Neue Lebenssituation auch für Angehörige
Ein plötzlich eintretender Pflegefall verändert für pflegende Angehörige die eigene Lebensplanung oft von Grund auf. Viele sind in einem Alter, in dem sie dem Ende ihrer Berufslaufbahn entgegensehen und sich auf einen entspannten Lebensabschnitt freuen. Diese Situation wird durchkreuzt, wenn plötzlich die Betreuung und Pflege eines Angehörigen zu Hause Thema wird. Eine neue Lebensplanung wird zudem erschwert, da man nicht weiß, wie lange die Pflegesituation andauern wird. „Diese Unsicherheit und die Konfrontation mit dem körperlichen und geistigen Abbau des betroffenen Angehörigen, erzeugt oft Frustration und das Gefühl von Hilflosigkeit. Hinzu kommen noch Zukunftsängste und die Angst, selbst krank zu werden, weil die Pflege körperlich und seelisch oft sehr belastend ist“, sagt Weigerstorfer.
Pflege als schleichender Prozess
Abgesehen von plötzlich auftretenden Erkrankungen, beginnt Unterstützung und Pflege meist schleichend und anfangs oft unbemerkt: Wenn ein Partner Fähigkeiten einbüßt, übernimmt der andere Partner oft dessen Aufgaben und hilft ihm, das Leben besser bewältigen zu können. Vor allem Frauen identifizieren sich lange Zeit überhaupt nicht als Pflegende, obwohl sie längst Pflege- und Betreuungsleistungen ausüben. Denn Pflege und Betreuung bedeutet nicht nur Körperpflege, sondern es ist viel mehr, so etwa, wenn man dem anderen beim Essen hilft, für ihn kocht, einkauft, ihm beim Gehen unterstützt, ihn zur Toilette führt, mit ihm am Arm spazieren geht, zum Arzt bringt und vieles mehr.
Frauen sehen sich in der Pflicht
Viele Pflegende (meist Frauen) überfordern sich unter dem Motto: „Ich muss das schaffen.“ Die Gründe für die Aufopferung sind verschieden. Viele sehen es als Selbstverständlichkeit, dass sie das machen. Andere haben Schuldgefühle und/oder wollen durch die Pflege etwas zurückgeben. „Geschieht die Pflege nicht aus freien Stücken, kann sie zermürbend werden, mit der Folge, dass sie irgendwann abgebrochen werden muss, weil man es nicht mehr schafft oder sogar selbst krank wird“, weiß Weigerstorfer.
Mehrere Säulen der Pflege
Wird daheim gepflegt, sollte die Pflege auf mehreren Säulen aufbauen, da eine Person alleine die Betreuung und Pflege auf Dauer kaum bewältigen kann. Mögliche Säulen sind:
- Wann immer es möglich ist, sollten sich mehrere Angehörige die Pflege teilen.
- Bezüglich organisatorischer Aufgaben kann man auch das soziale Umfeld, wie etwa Freunde und Nachbarn um Unterstützung bitten.
- Auszeiten für sich selbst einplanen oder sich Unterstützung durch Beratungsgespräche holen.
- Professionelle Dienste, wie etwa mobile Pflegedienste oder Tagesbetreuungen in Anspruch nehmen.
Betreuen kann auch bereichern
Wird ein Angehöriger zu Hause betreut, so muss dies nicht nur Lasten für die Betreuenden mit sich bringen, die Situation kann auch gute Seiten haben. Besteht beispielsweise eine innige Beziehung zwischen einem Ehepaar, wobei nun einer den anderen unterstützt, kann dies die Verbindung weiter stärken und von beiden Seiten positiv bewertet werden. „Oft entdecken Angehörige durch die Betreuung zu Pflege zu Hause auch Seiten an sich, von denen sie selbst positiv überrascht sind oder können in ihrer Persönlichkeit wachsen“, erklärt Weigerstorfer.
Mangelnde Distanz – Konflikte möglich
Bei der Pflege und Betreuung daheim kann es durch die ständige Nähe und oft fehlenden Auszeiten und Freiräume zu Konflikten kommen. Auch oft jahrelang verschüttete Konflikte kommen manchmal hoch. Weigerstorfer: „Ist beispielsweise die Ehe oder Beziehung zwischen zwei Menschen nicht reibungslos verlaufen, stellt sich dem Partner natürlich die Frage, ob er unterstützen und pflegen kann und vor allem, ob er es will. Hier stößt die häusliche Pflege oftmals an ihre Grenzen. Gerade in sehr konfliktreichen Beziehungen muss man sich manchmal die Frage stellen, ob die häusliche Pflege die beste Lösung ist.“
Besonders schwierig gestaltet sich die Situation, wenn Pflegebedürftige jegliche externe Hilfe ablehnen, wenn sie also weder in ein Heim gehen und auch zu Hause jede Hilfe fremder Personen ablehnen und darauf bestehen, ausschließlich vom Mann, der Frau oder dem Kind gepflegt zu werden. „Oft hilft in dieser heiklen Situation nur ein respektvolles Abwarten, bis der Pflegebedürftige selbst einsieht, dass es so nicht geht. Natürlich ist dieses Abwarten für Angehörige oft sehr schwer und herausfordernd und nicht immer möglich. Ein Beratungsgespräch kann hier gut unterstützen“, sagt Weigerstorfer.
Ein häufiges Problem: Solange der Pflegefall noch nicht eingetreten ist, sagen die Eltern oft, dass, sie einmal ins Alten- und Pflegeheim gehen würden. Mit der eigenen Gebrechlichkeit kommen auch Ängste und Unsicherheiten hoch, wodurch es vorkommen kann, dass sie das doch nicht möchten und sie sich an das Gewohnte klammern. In so einer Situation sind Konflikte möglich, die Angehörigen fühlen sich überfordert und pochen darauf, dass etwas anderes vereinbart war. Keine leichte Situation, da natürlich niemand zwangsweise in ein Heim „eingewiesen“ werden darf, aber auch Angehörige rechtlich nicht verpflichtet sind, zu pflegen.
Psychosoziale Unterstützung
Die ständige Fürsorge und die Belastungen der Pflege können selbst krank machen. Um dies zu verhindern, hilft es, gut auf sich selbst zu achten, seine eigenen Ressourcen nicht zu erschöpfen und sich mit anderen auszutauschen. Eine Möglichkeit unter vielen bietet die Psychosoziale Beratung der Caritas-Servicestelle für Pflegende Angehörige in Oberösterreich. Hier kann man sich aussprechen, wenn man nicht weiter weiß und an seine Grenzen stößt. Ein Gespräch kann helfen, neue Sichtweisen zu gewinnen und durch eine Außensicht wieder ein Stück Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen. Diese Beratungen sind kostenlos.
Weitere Infos unter:
www.pflegende-angehoerige.or.at
Dr. Thomas Hartl
Juni 2019
Bild: shutterstock
Auf möglichen Pflegefall vorbereiten - Teil 2