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Lithium und Depression

Lithium und Depression

Depressive Störungen gehören in Deutschland zu den häufigsten Erkrankungen, berichtet die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Die Ursachen sind komplex und bisher nur teilweise verstanden. Eine Rolle scheint das Spurenelement Lithium dabei zu spielen.

 

Mit Neutronen fand ein Münchner Forschungsteam nun heraus, dass sich das Lithium im Gehirn eines depressiven Menschen anders verteilt als bei einem gesunden Menschen. Damit konnten sie den Zusammenhang zwischen Lithiumkonzentration und Depression zeigen.

 

Weltbekannt in Batterien … 

Lithium ist vielen aus wieder aufladbaren Batterien bekannt. Mit dem Trinkwasser nehmen die meisten Menschen täglich Lithium zu sich. Internationale Studien zeigen, dass ein höherer natürlicher Lithiumgehalt des Trinkwassers mit einer niedrigeren Suizidrate in der Bevölkerung einhergeht, so die LMU in einer Presseaussendung.

 

… auch im Gehirn 

In vielfach höherer Konzentration kommen Lithiumsalze seit Jahrzehnten auch in der Behandlung von Manien und depressiven Störungen zum Einsatz. Welche Rolle das Lithium im Gehirn genau spielt, ist jedoch bisher nicht bekannt.

Forscher der LMU sowie der Technischen Universität München (TUM) haben gemeinsam mit einem Expertenteam der „Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II)“ der TUM eine Methode entwickelt, mit der sie die Verteilung von Lithium im Gehirn exakt bestimmen können. Daraus erhoffen sie sich Rückschlüsse auf die Therapie sowie ein besseres Verständnis der physiologischen Vorgänge bei Depressionen.

 

Neutronen spüren kleinste Spuren von Lithium auf 

Die Wissenschaftler:innen untersuchten das Gehirn eines Suizidenten und verglichen es mit zwei Kontrollpersonen. Im Fokus stand dabei das Verhältnis der Lithiumkonzentration in der weißen Gehirnsubstanz zu der in der grauen Substanz des Gehirns.

Um festzustellen, wo im Gehirn wie viel Lithium vorhanden ist, analysierten die Forschenden 150 Proben aus verschiedenen Hirnregionen – beispielsweise jenen Regionen, die vermutlich für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig sind. Am Messplatz der Prompten Gamma Aktivierungsanalyse (PGAA) des FRM II bestrahlten die Forschenden dazu dünne Gehirnschnitte mit Neutronen.

„Ein Lithium-Isotop kann besonders gut Neutronen einfangen und zerfällt dann in ein Helium- und ein Tritium-Atom“, erklärt Dr. Roman Gernhäuser vom Zentralen Technologielabor des Physik-Departments der TUM. Die beiden Zerfallsprodukte werden von Detektoren vor und hinter der Probe eingefangen und geben so Aufschluss darüber, wo genau sich das Lithium im Gehirnschnitt befindet.

 

Sehr wenig Lithium 

Da die Lithium-Konzentration im Gehirn üblicherweise sehr klein ist, ist es sehr schwer nachzuweisen. „Bisher wurden noch nie so geringe Spuren von Lithium im Gehirn ortsaufgelöst gezeigt“, so Dr. Jutta Schöpfer, Rechtsmedizinerin an der LMU München. „Besonders an der Untersuchung mit Neutronen ist auch, dass unsere Probe dadurch nicht zerstört wird. Wir können sie daher über einen längeren Zeitraum auch mehrfach untersuchen“, betont Gernhäuser.

 

Deutlicher Unterschied 

„Wir sahen, dass bei der gesunden Person in der weißen Substanz deutlich mehr Lithium vorhanden war als in der grauen Substanz. Bei dem Suizidenten hingegen ist die Konzentration ausgeglichen, hier ist kein systematischer Unterschied messbar“, fasst Gernhäuser das Resultat zusammen.

„Unsere Ergebnisse sind gewissermaßen bahnbrechend, da die Lithiumverteilung erstmals unter physiologischen Bedingungen nachgewiesen wurde“, erklärt Schöpfer. „Da wir das Element in Spuren auch ohne vorherige Medikamenten-Gabe im Gehirn nachgewiesen haben und sich die Verteilung so stark unterscheidet, gehen wir davon aus, dass Lithium tatsächlich eine wichtige Funktion im Körper hat.“

 

Forschung erst am Beginn 

„Dass wir bisher nur Gehirnschnitte von drei Menschen untersuchen konnten, kann natürlich nur ein Anfang sein“, räumt Gernhäuser ein, „allerdings konnten wir jeweils viele unterschiedliche Gehirnregionen untersuchen, in denen sich das systematische Verhalten bestätigt hat“.

„Mit mehr Patienten, von denen auch die Lebensgeschichten besser bekannt sind, könnten wir noch viel mehr herausfinden“, so Gernhäuser. Auch die Frage, ob die abweichende Lithiumverteilung bei depressiven Personen eine Ursache oder eine Folge der Erkrankung ist, ließe sich dann möglicherweise beantworten.

 

LMU / Mag. Christian Boukal
Oktober 2021

 

Bild: Dipl.-Phys. Joseph Lichtinger am PGAA-Instrument der TUM, © Wenzel Schuermann / TUM



Zuletzt aktualisiert am 11. Oktober 2021