Vorsorge und Therapie in einem – durch die Koloskopie können viele Darmkrebsfälle verhindert werden. „Niemand braucht eine Dickdarmspiegelung zu fürchten, denn die sanfte Koloskopie verschläft man. Dabei können Polypen abgetragen und die Krebsgefahr minimiert werden. Die Qualität dieser Untersuchung ist heute so weit, dass modernste Geräte voraussagen können, ob so ein Polyp harmlos oder aggressiv ist“, sagt Primar Univ.-Doz. Dr. Andreas Shamiyeh, Vorstand der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie im Kepler Universitätsklinikum Linz.
Wenn man von Darmkrebs (kolorektales Karzinom) spricht, ist er zu zwei Drittel der Fälle im 1,5 m langen Dickdarm lokalisiert. Man spricht dann vom Kolonkarzinom. Das restliche Drittel betrifft den Mastdarm (Rektalkarzinom), das sind die letzten 15 cm des Darms. Äußerst selten kommt Krebs im Dünndarm vor.
Vorsorge minimiert Erkrankung
Dank optimierter Vorsorge haben in den letzten Jahren die kolorektalen Karzinome abgenommen. Vielleicht spielt beim Rückgang auch ein gesunder Lebensstil ohne Übergewicht und Rauchen, mit gemäßigtem Fleisch-, Fett- und Alkoholkonsum, mit regelmäßiger Bewegung und ausreichender Zufuhr von Ballaststoffen eine Rolle.
Rückgang der Zahlen
Waren es laut Statistik Austria 2008 noch 5.050 Neuerkrankungen jährlich wurden 2018 „nur mehr“ 4563 Krebsfälle gezählt. Betroffen vom dritthäufigsten Krebs in Österreich sind mehr Männer als Frauen – vor allem in der Altersgruppe ab 55 bis 60 Jahren. „Man hat heute eine bessere Chance den Krebs zu heilen und zu überleben. Mehr als 60 Prozent der Betroffen sind nach fünf Jahren noch am Leben. Dank verbesserter Operationstechnik und -methoden sowie neuen Medikamenten, der sogenannten Immuntherapie, hat sich die Lebensqualität und -dauer auch im fortgeschrittenen Stadium erhöht“, erklärt der Linzer Chirurg.
Familiäre Disposition ist möglich
Eine familiäre Veranlagung sowie das Vorliegen der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Colitis ulcerosa kann das Darmkrebsrisiko erhöhen. Entartete Darmpolypen oder Schleimhautveränderungen sind die Hauptursache des Karzinoms. Grundsätzlich wird ab 45 Jahren beim Mann und ab 50 Jahren bei der Frau eine Erstkoloskopie empfohlen, die dann alle sieben bis zehn Jahre wiederholt werden soll. Tritt zum Beispiel bei einem Elternteil vor dem 60. Lebensjahr Darmkrebs auf, steigt das Risiko für die Kinder um das Dreifache. Sie sollen dann früher – man empfiehlt zehn Jahre vor Diagnosealter des betroffenen Elternteils – zur ersten Vorsorgekoloskopie und diese nach Absprache mit dem Arzt in kürzeren Abständen wiederholen.
Darmspiegelung einfach verschlafen
Schon die Vorbereitung auf die Koloskopie, die Spiegelung mit dem Endoskop, schreckte früher Menschen vor dieser Untersuchung ab. Man musste zur Darmreinigung vier Liter Abführlösung trinken. Heute gibt es verschiedene Mittel und Geschmacksrichtungen zum Trinken. Außerdem muss man viel weniger davon einnehmen. Vor der Untersuchung kann man eine „Wurstigkeitsspritze“ oder eine kurze Narkose verlangen. In rund 30 Minuten ist alles vorbei. „Werden Geschwüre der Darmschleimhaut, sogenannt Polypen entdeckt, kann man die meisten davon mit einer Stahlschlinge während der Untersuchung abtragen. Die Software der modernsten Endoskopgeneration, die derzeit österreichweit nur am Kepler Klinikum und in St. Pölten im Einsatz ist, erkennt sogar in den meisten Fällen, ob es sich bei dem Polypen um ein gutartiges Adenom oder eine krebsverdächtige Geschwulst handelt“, erklärt Shamiyeh.
Ergänzend zur Endoskopuntersuchung gibt es die virtuelle Koloskopie, die aber nur in Fällen, in denen eine Spiegelung nicht möglich ist, als Mittel erster Wahl durchgeführt wird. Dabei handelt es sich um eine Computertomografie (CT-) oder Magnetresonanztomografie (MRT-Untersuchung). Entdeckt man dabei Polypen, müssen diese in einem gesonderten Eingriff entfernt werden.
Bei alten Menschen, denen die Darmreinigung nicht mehr zumutbar ist, kann, je nach ärztlicher Einschätzung, auch eine kleine Darmspiegelung sinnvoll sein. Dabei kann man die letzten 30 bis 40 cm des Darms einsehen.
Unabhängig von der Koloskopie soll jährlich ab 40 Jahren beim Hausarzt ein Hämocculttest oder immunologischer Stuhltest auf verstecktes Blut in der Ausscheidung durchgeführt werden.
Symptome erst in fortgeschrittenem Stadium
Im Frühstadium ist Darmkrebs heilbar. Gutartige unentdeckte Polypen können innerhalb von zehn, 15 Jahren aber entarten. Symptome treten oft erst ab einer gewissen Größe und in fortgeschrittenem Stadium auf, daher wird rund die Hälfte der Karzinome erst dann entdeckt. Man diagnostiziert sie, wenn sie die Organgrenze bereits durchbrochen und regionale Lymphknoten befallen haben. In 15 Prozent dieser Fälle, hat der Krebs schon Metastasen in anderen Organen gebildet.
Erste Krebsanzeichen können unspezifisch sein:
- Darmkrämpfe
- Ungewollter Gewichtsverlust
- Plötzliche Änderung der Stuhlgewohnheiten, wie etwa der Wechsel von Durchfall und Verstopfung oder ein sogenannter Bleistiftstuhl, der durch die Verengung des Darms zustande kommt.
- Nicht sichtbares oder sichtbares Blut im Stuhl
- Abgeschlagenheit, Müdigkeit
- Anämie (Blutarmut)
Schlüssellochchirurgie im Vormarsch
Je nach Größe, Lokalisation, Stadium und Tumorbeschaffenheit wird in einem interdisziplinären Tumorboard die individuell bestmögliche Therapie bestimmt. „Wann immer es möglich ist, wird operiert. An unserer Klinik geschieht das in 90 Prozent der geplanten Eingriffe laparoskopisch über vier, fünf kleine Einstiche. Zusätzlich arbeiten wir vielfach roboterunterstützt mit dem ‚daVinci-OP-System‘. Die Roboterassistenz verschafft uns bessere und stabilere Kamerabilder auf dem Schirm, erlaubt ein präziseres Präparieren und somit gewebe- und nervenschonendes Operieren. Für den Patienten bedeutet das meist geringeren Wundschmerz als bei einem Bauchschnitt, keine große Narbe und ein schnelleres Erholen“, sagt Shamiyeh.
Vorbehandlung bei Mastdarmkrebs
Bei Mastdarmkrebs ist in manchen Fällen eine Vorbehandlung mit Chemotherapie und Bestrahlung sinnvoll. „Aktuelle Studien zeigen, dass dieses Vorgehen in einigen Fällen eine Operation erspart, weil der Tumor dann nicht mehr nachzuweisen ist oder der Krebs ist geschrumpft und man kann ihn dann besser entfernen“, so Shamiyeh. Muss bei einem Rektumkarzinom der Schließmuskel entfernt werden, wird ein dauerhafter künstlicher Darmausgang, ein Stoma, angelegt. Kann der Mastdarmkrebs schließmuskelerhaltend operiert werden, ist es in manchen Fällen notwendig, einen vorübergehenden künstlichen Ausgang zu legen. Sobald die neu geschaffene Darmverbindung gut abgeheilt ist, wird das Stoma rückoperiert und eine normale Stuhlpassage ist wieder möglich.
Stomapatienten bekommen eine persönliche Schulung und Begleitung, damit sie lernen, bestmöglich mit dem künstlichen Darmausgang zu leben.
Ist das Kolonkarzinom metastasiert und nicht heilbar, versucht man individuell mit Chemotherapie und/oder innovativer Immuntherapie (monoklonale Antikörper) Beschwerden zu lindern und das Leben bei guter Qualität zu verlängern.
Schnell wieder auf die Beine kommen
Zur verbesserten und raschen Erholung der Patienten nach der Darmkrebsoperation wird in manchen Kliniken, so auch in der Linzer Kepler Universitätsklinik, das Fast-Track- oder ERAS- Prinzip (Enhanced Recovery after Surgery = verbesserte Genesung nach der Operation) gelebt. Dabei wird das multimodale Management vor, während und nach der Operation fachübergreifend für jeden Patienten individuell optimiert. „Der Patient soll in bestmöglichem Allgemeinzustand operiert werden. So versuchen wir zum Beispiel abgemagerte Krebspatient schon vor dem Eingriff mit Zusatznahrung aufzupäppeln. Zwei Tage nach der Operation kann ein Patient bei uns normalerweise schon wieder wie gewohnt essen. Vor 20 Jahren mussten Patienten drei Tage lang nach dem Eingriff noch hungern. Wenn möglich, kommt noch am OP-Tag ein Physiotherapeut zur Mobilisierung und wenn alles gut läuft, geht der Patient am fünften oder sechsten Tag heim“, erzählt Shamiyeh vom Alltag der personalisierten umfassenden Behandlungsstrategie. Ziel ist, dass die Darmkrebspatienten rasch wieder auf die Beine und zu guter Lebensqualität kommen.
Mag. Christine Radmayr
Jänner 2022
FOTO: DaVinci-OP-Roboter, © Kepler Universitätsklinikum Linz