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Autophagie – Zellreinigung durch Fasten

Autophagie – Zellreinigung durch Fasten

Fasten vermittelt nicht nur das Gefühl der Reinigung von Körper und Geist. Es reinigt die Zellen des Körpers auch ganz konkret und hält diese gesund. Durch einen Prozess, den man Autophagie nennt, findet eine Zellreinigung statt, die durch Essenskarenz, also zeitweiliges Fasten, gefördert wird.  

Durch Autophagie reinigen sich die Zellen selbst. Dieser Prozess beschreibt eine Art Recyclingprogramm, das in den einzelnen Körperzellen stattfindet und den Erhalt gesunder Zellen gewährleistet. Nur die ständige Instandhaltung der Zellen, der Abbau beschädigter Zellteile und die anschließende Reparatur ermöglicht die Aufrechterhaltung der Zellfunktionen. Zelluläre Vermüllung dagegen blockiert die Zellfunktionen.

Lange Zeit glaubte man, dass es sich bei der Autophagie um einen eher unbedeutenden Prozess handelt. Mittlerweile weiß man aber, dass sie einen der wichtigsten Prozesse im menschlichen Körper darstellt. Sie macht die Zelle wieder jünger, dynamischer und damit leistungsfähiger. 

Vermüllung der Zellen 

Menschliche Zellen sind Wunderwerke der Natur mit etwa 15.000 chemischen Prozessen pro Sekunde. Sie sind sowohl in ihrem Aufbau als auch in ihrer Funktion extrem kompliziert und vielschichtig. Trotz ihrer geringen Größe verfügt jede einzelne Zelle über eine geordnete innere Organisation. Die chemischen Reaktionen im Zellinnern finden in mikroskopisch kleinen Unterstrukturen statt, die ihre jeweiligen Aufgaben perfekt koordinieren.

„Wir nehmen unseren Körper zwar als feste Materie wahr – in Wirklichkeit ist er Energie und Dynamik. Die Zellen sind die Grundbausteine des Lebens. Um zu funktionieren, dürfen sie nicht verstopft sein. Das Problem ist, dass sich in den Zellen meist viel Müll befindet. Man könnte es bildlich mit dem Verkehrsnetz einer Großstadt vergleichen: Der Verkehr stockt, die Autos stecken im Stau wie in der Stoßzeit, es gibt kaum ein Weiterkommen. Der Grund sind beschädigte Zellbausteine, die den Verkehr blockieren, wertlose Proteinreste und andere unerwünschte Abfallprodukte. Zellteile können zudem durch ein Zuviel an Energie beschädigt werden. So führen Sauerstoffradikale aus den Zellkraftwerken zu einer Oxidation von Fetten und Proteinen, und verursachen auch DNA-Schäden“, sagt Dr. Martin Pinsger, Leiter des Schmerzkompetenzzentrums Bad Vöslau. 

Recycling in den Zellen 

Zum Glück sind die Körperzellen in der Lage, Recycling zu betreiben. Und hier kommt die Autophagie ins Spiel. Die Autophagie bezeichnet einen Prozess in den Zellen, bei dem Bestandteile der Zelle abgebaut und wiederverwertet werden. So werden dem Körper neue Moleküle wie Aminosäuren, Fettsäuren oder Kohlenhydrate zur Verfügung gestellt.

Der Japaner Yoshinori Ohsumi erhielt 2016 für seine Grundlagenforschung zur Autophagie – also zum Zellrecycling – den Nobelpreis für Medizin. Dr. Pinsger: „Vereinfacht gesagt, läuft das folgendermaßen ab: Die Zelle hat die Fähigkeit, kleine Doppelmembranen zu bilden, die wie kleine Müllsäcke kaputtes, beschädigtes Zellmaterial einsammeln und umschließen. Der eingesammelte Inhalt wird dann in Lysosomen gekippt – das sind größere Säcke oder Eimer, die mit Enzymen gefüllt sind. Diese Enzyme lösen dann die nicht mehr funktionierenden Zellbestandteile in Einzelteile auf, die teilweise wiederverwertet oder einfach der Verbrennung und damit der Energiegewinnung zugeführt werden können. Einfach genial.“ 

Autophagie – Zellreinigung durch Fasten











Zellmüll als Gefahr 

Der „Müll“ in den Zellen ist nicht zu unterschätzen. Der Mensch besteht aus rund 100 Billionen Zellen – man könnte sagen, der Mensch ist eine riesige Zellmaschinerie, in der ständig Abfallprodukte anfallen. Das Problem dabei ist, dass der Abfall die Regeneration und Reparatur der Zellen stört und zu einem beschleunigten Alterungsprozess führt.

Dr. Pinsger: „Welche Bedeutung die Autophagie in diesem Zusammenhang hat, wird wissenschaftlich zunehmend untersucht. Klar ist, dass dieser Selbstreinigungsprozess lebenswichtig ist, denn Störungen im Zellstoffwechsel können zu Erkrankungen wie Diabetes und Krebs führen. Auch bei Alzheimer und vielen anderen Erkrankungen scheint eine gestörte Autophagie eine Rolle zu spielen. Manche Forscher vermuten sogar, dass die Selbstreinigung der Zellen der Schlüssel zu einem längeren Leben ist.“ 

Zellmüll als Energiequelle 

Bei der Autophagie scheiden Zellen ihren Müll nicht einfach aus, sondern sie verdauen ihn (Autophagie bedeutet wörtlich übersetzt „sich selbst essen"). Bei einem solchen Recycling wird der Zellmüll als Brennstoffersatz genützt, wenn die Energiereserven zur Neige gehen. Die kaputten, nicht mehr brauchbaren Bausteine der Zelle werden dabei zum Wiederaufbau neuer Zellkomponenten verwendet.

„Wir können die Sache veranschaulichen: Was würde der Kapitän eines alten Dampfschiffes machen, wenn ihm fünf Seemeilen vor dem nächsten Hafen die Kohle ausgeht? Keinesfalls würde er das Steuerrad oder das Heckruder zersägen und in den Heizkessel werfen. Er würde wahrscheinlich im Schiffsbauch nach alten Seilen, Altholz und Müll suchen lassen, die sich zum Verheizen verwenden lassen. Sehr ähnlich verhält sich die Körperzelle in Zeiten der Not, wenn es ihr also an Energiezufuhr mangelt. Wenn man längere Zeit nichts gegessen hat, fangen die Zellen an, sich von unnötigem Ballast zu ernähren“, sagt Dr. Pinsger. 

Lange Zeit wurde in der Wissenschaft dieser Vorgang der Resteverwertung, des Recyclings, lediglich als Notlösung des Körpers betrachtet, die den Zellen dabei hilft, Hungerperioden zu überstehen. Inzwischen weiß man jedoch, dass Autophagie weit mehr als ein Notfallsystem bei Energiemangel ist und darüber hinaus der ständigen Reinigung und Erneuerung der Zellen dient.  

Autophagie benötigt Energieknappheit 

Der Recyclingmechanismus setzt abbauende Prozesse im Körper voraus. Bevor sich eine Zelle erneuern kann, müssen zuerst die beschädigten Zellbausteine abgebaut werden. Eine Zellwartung funktioniert also erst nach Beseitigung des Zellmülls.

Die ständige Zufuhr von Nahrung stört den Prozess der Zellreinigung. Dieser setzt voraus, dass die Energie knapp wird – ähnlich wie beim Dampfschiff, wo nur dann nach verwertbarem Brennmaterial gesucht wird, wenn die Kohle ausgeht. Das bedeutet: Wird dem Körper ständig Energie durch Essen zugeführt, sehen sich die Zellen nicht dazu veranlasst, die nötige Resteverwertung durchzuführen. Schließlich fährt der Körper die Autophagie erst dann richtig hoch, wenn die Glykogenspeicher geleert sind und keine Kohlenhydrate mehr als Brennstoff für die Zellen zur Verfügung stehen. Der Körper wechselt nach etwa 12 bis 16 Stunden ohne Nahrung in den Hungerstoffwechsel. Wenn dem Organismus der Zucker (Kohlenhydrate) ausgeht, greifen die Zellen notgedrungen auf den „Zellmüll“ als Energiequelle zurück. 

Für die Praxis bedeutet das: Eine häufige und beträchtliche Zufuhr von Kohlenhydraten durch Zucker, Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln und Süßigkeiten hemmt die Autophagie. Man sollte demnach nicht ständig essen; viele kleine Mahlzeiten verschärfen das Problem. Der Insulinspiegel ist dann dauerhaft hoch und behindert das Zell-Recycling-Programm.

Dies gilt umso mehr, wenn man sich körperlich wenig bewegt und die Zufuhr der Kohlenhydrate nicht durch Sport abbaut. Bekommt der Körper durch ein solches Verhalten nur selten die Chance dazu, beschädigte Zellbausteine abzubauen, häufen sich diese Schadstoffe in den Zellen an. Auf lange Sicht kann das zur Funktionsuntüchtigkeit betroffener Zellen beitragen.  

Fasten als Turbo für Zell-Recycling 

Zeiten fehlender Nahrungsaufnahme sind im Sinne der Autophagie also nützlich und sinnvoll. Durch Kalorienreduktion und die zeitweilige Einstellung der Nahrungsaufnahme lässt sich der Vermüllung der Zellen entgegenwirken. „Das ist eine gute Nachricht, denn damit wissen wir, dass wir dieser Vermüllung keinesfalls hilflos ausgeliefert sind. Wir können etwas tun, und zwar zeitweilig fasten. Damit zwingen wir unseren Organismus, den Prozess der Autophagie, das Zell-Recycling, diese besondere Art der Müllverwertung, zu starten. Dies gelingt, indem wir die Kalorienzufuhr drosseln – vor allem die Zufuhr von Kohlenhydraten. Kohlenhydrate sollten generell weniger als 25 Prozent unseres Energieumsatzes ausmachen. Im Idealfall sollte man zudem zweimal im Jahr eine Fastenwoche einlegen. Das regt die Autophagie an.

Auch Intervallfasten kann hilfreich sein. Es sorgt dafür, dass das ständig nötige Ausmisten auf Zellebene dauerhaft auf einem hohen Niveau gehalten werden kann. Der Körper bekommt dadurch die nötige Zeit, um sich regelmäßig von Zellresten zu befreien und sich zu regenerieren. Beim Intervallfasten isst man innerhalb von 24 Stunden nur in einem Zeitraum von acht Stunden, die restlichen 16 Stunden gibt es keine feste Nahrung und auch keine gesüßten Getränke“, sagt Dr. Pinsger, der mit seinen Patienten zweimal im Jahr geführte Gruppen-Fastenkurse durchführt.


Dr. Thomas Hartl
März 2022


Bilder: Sisacorn/Lisovskaya Natalia/shutterstock.com





Zuletzt aktualisiert am 14. März 2022