Lärm geht uns im wahrsten Sinn des Wortes auf die Nerven und wird immer öfter zur Belastungsprobe für die Gesundheit und für ein konfliktfreies Zusammenleben.
Unsere Welt wird immer lauter und das hat Folgen: Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Verkehrslärm nach Luftverschmutzung das Umweltproblem mit den zweitstärksten Auswirkungen auf unsere Gesundheit.
Was ist Lärm?
Belastender Lärm ist mehr als „nur“ Verkehrslärm. „Lärm ist jeder unerwünschte Schall. Er lässt sich also nicht allein über die Lautstärke beschreiben“, erklärt Professor Dr.-Ing. Holger Waubke, Experte am Institut für Schallforschung in Wien. Was wir als Belästigung empfinden, ist das Ergebnis eines sehr komplexen Wahrnehmungs- und Bewertungsvorgangs und hängt von einer Reihe von Faktoren ab. So empfinden wir Meeresrauschen meist als angenehm, gleich lauten Lärm von einer Baustelle hingegen nicht. Generell gilt zwar: Je lauter ein Geräusch ist, desto mehr Menschen erleben es als beeinträchtigenden Lärm. Die Messung des Schallpegels in der Einheit Dezibel dB(A) deckt aber dennoch nur einen Teil des Problems ab, da auch leise Geräusche auf Dauer hochgradig stören können.
„Die Fixierung auf Dezibel-Zahlen ist kontraproduktiv“, findet daher der Akustikforscher und Musiker Peter Androsch, der sich im Projekt „Hörstadt“ für eine menschengerechte Gestaltung der akustischen Umwelt einsetzt. Schall sei eine notwendige Ressource, die so bewirtschaftet werden müsse wie Luft oder Wasser. Etwas, das angesichts des in Österreich herrschenden raumordnerischen Wildwuchses nicht wirklich funktioniere.
Betroffen sind viele: Laut der letzten Mikrozensus-Befragung der Statistik Austria fühlen sich fast 38 Prozent der Bevölkerung in ihrer Wohnung durch Lärm gestört. Jeder elfte Österreicher erlebt diese Beeinträchtigung als stark oder sehr stark. Insgesamt macht Lärm den Befragten deutlich mehr zu schaffen als schlechte Luft.
Während früher vor allem der Verkehr den Großteil der Lärmstörungen verursachte, hat sich das mittlerweile geändert. Die Belastung durch den Straßen-, Schienen- und Flugverkehr ist teilweise auf den Wert von vor zehn Jahren zurückgegangen. Lediglich die einspurigen Kfz strapazieren die Nerven der Österreicher heute stärker als noch vor einigen Jahren.
Nicht verkehrsbedingte Lärmquellen werden hingegen immer belastender und sind mittlerweile doppelt so oft Grund für eine Lärmstörung wie noch vor 15 Jahren: Hauptstörquellen sind Baustellen-Lärm und Lärm aus Nachbarwohnungen. Auch Lokale, Betriebe, Freizeit- und Tourismuseinrichtungen sowie Veranstaltungen zählen dazu, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß. Jeder Zweite bestätigt, dass die Lärmbelastung innerhalb der vergangenen Jahre zugenommen hat.
Wohnanlagen am lautesten
Wie und wo man wohnt, hat einen sehr großen Einfluss auf das Ausmaß der Lärmbelästigung. Wer in einer dicht verbauten Umgebung in einem mehrgeschossigen Haus lebt, leidet am stärksten unter Lärm. So fühlen sich in mehrstöckigen Gebäuden rund 60 Prozent der Bevölkerung durch Lärm gestört. Ihnen macht besonders der nicht verkehrsbedingte Krawall zu schaffen, während Einfamilienhausbewohner vor allem unter dem Verkehrslärm und insbesondere unter dem Lärm des Schwerverkehrs leiden. Nach Bundesländern aufgeschlüsselt ist Wien am stärksten vom Lärm betroffen, gefolgt von Salzburg und Tirol. Vergleichsweise leise hingegen ist es im Burgenland. Zwar konzentriert sich viel Lärm im (verdichteten) urbanen Raum, er ist aber kein reines Stadtphänomen. Das zeigt sich etwa im Südteil des Wiener Umlandes, der von Fluglärm besonders stark betroffen ist.
Der typische lärmgeplagte Österreicher bewohnt ein mehrgeschossiges Wohnhaus mit mindestens zehn Parteien in einer dicht verbauten Region in Wien, Salzburg, Innsbruck oder einem anderen Ballungsraum. Er oder sie leidet unter dem Verkehrslärm nahe dem Haus und/oder lärmenden Nachbarn beziehungsweise einer Baustelle in unmittelbarer Umgebung.
Lärmbelästigung prüfen
Wer eine Immobilie mieten oder erwerben möchte, sollte vorab einen Blick auf die aktuellen Lärmkarten werfen. Auf der Plattform www.lärminfo.at im Internet kann man mittels Adresseingabe für jeden Wohnort die aktuelle Lärmbelastung herausfinden. Hier gibt es zudem einen Straßenlärmrechner für die Ermittlung der verkehrbedingten Lärmbelastung in Innenräumen. Auch ein Blick auf die Schallschutzklasse des Gebäudes ist wichtig, ebenso Gespräche mit Hausbewohnern, um so mögliche Lärmquellen herauszufinden. Treten in einer Mietwohnung Lärmbelästigungen auf, die bei Abschluss des Mietvertrags noch nicht vorhanden waren, kann der Mieter eine Minderung des Mietzinses fordern.
Schallschutz für innen
In Wohnanlagen wäre in Sachen Schallschutz mehr möglich, erklärt der Vorarlberger Schallschutz-Experte und Gerichtssachverständige Ing. Lothar Kurzemann. Wer solche errichtet, muss Mindestanforderungen beim Schutz vor störendem Luft- und Trittschall, festgelegt in der ÖNORM B 8115 beziehungsweise OIB-Richtlinie, erfüllen. „Leider bewegen wir uns nach meiner Erfahrung eher beim Minimum“, bedauert Kurzemann. Manche Bauträger hätten zwar erkannt, dass Schallschutz auch ein Verkaufsargument sei, und wären daher bestrebt, einen besseren Schutz als die Mindestanforderung zu bieten, die Mehrheit orientiere sich allerdings an den rechtlich geforderten Grenzwerten.
Dabei wären ein besserer Schallschutz und damit eine höhere Wohnqualität weniger eine Frage des Preises. „Planung im Detail und Ausführungsqualität sind Punkte, welche ohne oder nur mit geringeren Mehrkosten eine höhere Schallschutzqualität bewirken. Ganz besonders trifft dies auf den Trittschallschutz zu, also etwa für Trittgeräusche, Stühlerücken oder spielende Kinder“, erklärt Ing. Kurzemann. Viele Immobilienkäufer wissen nicht, dass sich vertraglich ein höherer Schallschutz vereinbaren lässt, der in der Gewährleistung auch messtechnisch überprüfbar ist. So wie es einen Energieausweis gibt, lässt sich für Gebäude auch ein Schallschutzausweis erstellen. Dies ist derzeit allerdings noch eine freiwillige Leistung des Bauträgers. Dieser Ausweis gibt an, welche Schallschutzklasse ein Gebäude erfüllt: von A („hoher Komfort“) bis E („sehr geringer Schallschutz“).
Die Mehrzahl der derzeit neu errichteten Gebäude erfüllt laut Ing. Kurzemann die vom Gesetzgeber festgelegte Mindestanforderung der Klasse C. Diese ist durchaus ausreichend, wenn man ruhige Nachbarn hat. Falls nicht, muss man mit akustischen Störungen aus der Nachbarwohnung oder dem benachbarten Reihenhaus rechnen. Die Chance, es wirklich ruhig zu haben, besteht nur bei der Schallschutzklasse A und B, wobei sich B ohne deutliche Mehrkosten erreichen lässt.
Lärm macht krank
Sich vor Lärm wo immer möglich zu schützen, ist dringend notwendig. Die akustische Umweltverschmutzung kostet den Europäern laut WHO-Schätzung mindestens eine Million gesunde Lebensjahre. Gesundheitliche Lärmschäden sind Herzkrankheiten, Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung von Kindern und Tinnitus. Unangefochtener Spitzenreiter bei den krankmachenden Lärmfolgen sind Schlafstörungen, auf deren Konto der Großteil der durch Lärm verlorenen Lebensjahre geht. Nerviger Verkehrslärm beeinträchtigt nicht nur das Wohlbefinden, indem er rund jeden vierten Betroffenen dazu zwingt, bei geschlossenem Fenster zu schlafen, er führt auch zu Schlafstörungen mit allen krankmachenden Konsequenzen.
Krankmachende Folgen hat auch der selbstgewählte, gehörschädigende Freizeitlärm, etwa durch Audiogeräte wie MP3-Player. Das betrifft vor allem Kinder und Jugendliche. In dieser Gruppe haben sich Hörstörungen in den beiden letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelt. Experten raten daher, die Lautstärke von Playern und Kopfhörern auf maximal 80 dB zu begrenzen! Auch Pausen sind wichtig: Man sollte seinen Ohren alle ein bis zwei Stunden eine Erholungsphase gönnen – besonders bei Discobesuchen und anderen lautstarken Veranstaltungen.
Lärm am Arbeitsplatz
Zur privaten kommt nicht selten auch eine Lärmbelastung am Arbeitsplatz. Rund eine halbe Million Österreicher arbeiten an einem Lärmarbeitsplatz. Die Betroffenen müssten einen Gehörschutz tragen, der sie vor der oft schleichend entstehenden Lärmschwerhörigkeit schützt. Idealerweise sollte es sich dabei um einen individuell angepassten Gehörschutz handeln, der deutlich besser vor Lärmschäden schützt als Standardmodelle. Diese und andere Lärmschutzmaßnahmen wirken aber nur, wenn sie richtig und dauerhaft angewendet werden. Lärmschwerhörigkeit zählt zu den häufigsten Berufskrankheiten. Als Summe zahlreicher kleiner Schädigungen entwickelt sich der Hörverlust oft schleichend über viele Jahre. Wie stark sich das auf die Lebensqualität auswirkt, wird oft unterschätzt. Sind die feinen Haarzellen im Gehör zerstört, können die Betroffenen bestimmte Frequenzen gar nicht oder nur schlecht wahrnehmen. Zischlaute und andere hohe Töne werden überhört, was die Kommunikation mit den Mitmenschen enorm erschweren kann. Ist der Gehörschaden erst einmal da, bildet er sich nicht mehr zurück und kann auch durch Hörgeräte nur zum Teil ausgeglichen werden.
Lärm macht nicht nur körperlich krank, er beeinträchtigt auch das seelische Wohlergehen. Wie sich Lärm auf die psychische Gesundheit auswirkt, wurde bislang weit weniger gut untersucht als etwa die Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Die bislang vorliegenden Studien weisen allerdings auf einen Anstieg psychischer Erkrankungen in Verbindung mit Lärm hin. Neben Angststörungen sind es vor allem Depressionen, bei denen lärmbedingt das Erkrankungsrisiko steigt. So hat etwa eine Langzeitstudie an der Universität Duisburg-Essen gezeigt, dass starker Verkehrslärm am Wohnort auch für die Seele belastend ist. Jene untersuchten Studienteilnehmer, die an einer lauten, stark befahrenen Straße lebten, erkrankten innerhalb von fünf Jahren deutlich häufiger an Depressionen als Teilnehmer in ruhigeren Gegenden. Das Risiko, depressiv zu werden, erhöhte sich bei ihnen um besorgniserregende 25 Prozent.
Auf Gefahr gepolt
Der Grund dafür, dass Lärm so schädlich ist, liegt in der grundlegenden Eigenschaft von Geräuschen: Sie zeigen uns, dass wir aufmerksam sein müssen. Der Mensch ist evolutionär darauf gepolt, Geräusche mit der Möglichkeit einer Gefahr in Zusammenhang zu bringen. Umgeben uns ständig Geräusche, müssen wir auch permanent prüfen, ob eine Gefahr vorliegt. Dieser Prozess bedeutet gerade in der Nacht Stress, und zwar umso mehr, je weniger wir Lärm kontrollieren können und wissen, wie lange er andauert. „Das Schlimme am nächtlichen Lärm ist das Aufwecken“, erklärt Lärmexperte Professor Holger Waubke vom Institut für Schallforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Besonders kritisch in dieser Hinsicht sei Bahnlärm, da laute Einzelereignisse, wie sie etwa auf Bahn-Nebenstrecken vorkommen, den Schlaf besonders stark stören würden.
Ruhiger schlafen – was hilft?
Besonders wichtig in Sachen Lärmschutz ist daher der Schutz der nächtlichen Ruhe. Der Lärmpegel sollte laut den Empfehlungen der Europäischen Umweltagentur unter 40 dB liegen. Ein auch nachträglich montierbarer Schutz sind Schallschutzfenster oder stabile Außenrollladen, die als „Schallschlucker“ oft unterschätzt werden. Sich gegen lärmende Nachbarn abzuschirmen ist schwieriger, wie Professor Waubke erklärt: „Eine nachträgliche Schalldämmung an den Innenwänden ist zwar möglich, aber sehr aufwendig und kostspielig.“ Kleine, aber nur beschränkt wirksame Maßnahmen sind hochflorige Teppiche, Veloursgardinen oder Wandbespannungen, da Textilien als Geräuschschlucker fungieren.
Darüber hinaus gibt es leider nur wenige Möglichkeiten, leiser zu leben, wenn man nicht gerade den Wohnort wechseln möchte oder dies überhaupt kann. Hier sind vor allem die Politik gefragt und mehr Bewusstsein für das stark unterschätzte Umwelt- und Nachbarschaftsproblem Lärm.
Lärmarme Geräte
Auch in den eigenen vier Wänden kann man leiser leben. Auf der herstellerunabhängigen Website www.topprodukte.at findet man nach umweltrelevanten Kriterien bewertete Produkte. Hier gibt es zum Beispiel eine Übersicht über Bodenstaubsauger, die sehr effizient reinigen, dennoch einen geringen Schallleistungspegel haben und daher vergleichsweise leise sind. Auch das EU-Reifenlabel wird hier erklärt. Das bei der Reifenkennzeichnung verpflichtende Etikett informiert nicht nur über den Spritverbrauch, sondern gibt in Dezibel auch die Geräuschemission des Reifens an: Drei schwarze Wellen des Symbolbilds zeigen, dass es sich um einen lauten Reifen handelt, zwei Wellen stehen für einen normal lauten und eine Welle für einen leisen Reifen.
Kommentar:
Prof. Dr.-Ing. Holger Waubke
Experte für physikalische und numerische Akustik am Institut für Schallforschung der ÖAW in Wien
Dr. Regina Sailer
Mai 2022
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