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Gesicht einer Frau hinter eíner nassen Glasscheibe mit Blüten drauf

Tabuthema „psychisch krank“: Nur darüber reden hilft!

Suizid, Armut und Tod – darüber spricht man nicht. Aber auch über psychische Probleme zu reden, ist für viele schwierig. Nicht ohne Grund, denn Themen dieser Art sind in unserer Gesellschaft nach wie vor mit Tabus belegt. Und wer Tabus freiwillig oder unfreiwillig durchbricht, erntet gesellschaftliche Ausgrenzung.

Unter welchen Tabus Menschen mit psychischen Problemen leiden, aber auch jene, die diesen Menschen helfen, und was man dagegen tun kann, hat pro mente Austria zum Thema der Fachtagung „Tabus in der psychosozialen Versorgung“ gemacht. Im Zentrum der Tagung, an der rund 350 Fachkräfte aus dem Bereich der psychosozialen Betreuung teilnahmen, stand die Frage, wie über die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen hinaus mit weiteren Tabus, denen sich Betroffene gegenübergestellt sehen, in der psychosozialen Versorgung umgegangen werden kann.

„Allein die Tatsache, zur Gruppe der psychisch Kranken zu gehören, stellt einen gesellschaftlichen Tabubruch dar, der häufig zu sozialer Ausgrenzung führt. Menschen mit psychosozialen Problemen leiden jedoch nicht nur am Stigma einer psychischen Erkrankung, sondern sind häufig einer Kombination mehrerer Tabus ausgesetzt: Jedes mit der Erkrankung in Zusammenhang stehende Anderssein wird von der Gesellschaft nur allzu oft als zusätzlicher Makel aufgefasst“, erläuterte der Psychiater und Psychotherapeut sowie pro mente Austria-Präsident Priv.-Doz. Dr. Günter Klug.


Füsse im hohen Gras












Häufig zusätzliche Probleme

„Die Betroffenen leiden ja nicht an einer einheitlichen psychischen Erkrankung, sie haben spezielle Problemstellungen, die jede für sich tabuisiert sind, wie zum Beispiel Sucht oder Suizidalität. Gleichzeitig gehen schwerere psychische Erkrankungen häufig auch mit Problemen wie Jobverlust, sozialem Abstieg, Armut, Scheidung, Wohnungsproblemen und der Notwendigkeit einer sozialen Unterstützung einher. Daraus ergibt sich eine Gesamtbelastung, die die psychische Befindlichkeit noch deutlich verschlimmert und es sehr viel schwieriger macht, sich von diesen Problemen wieder zu befreien.“

Stillschweigend akzeptierte Regeln 

„Tabus beruhen auf einem stillschweigend praktizierten gesellschaftlichen Regelwerk, das bestimmte Verhaltensweisen gebietet oder verbietet“, so Klug. Tabus werden nicht hinterfragt, sie bleiben als soziale Normen unausgesprochen, sie sind strikt und bedingungslos und es gibt sie in allen Gesellschaften. „Psychische Erkrankungen werden zumeist aufgrund eines Mangels an Wissen beziehungsweise durch weit verbreitete Vorurteile tabuisiert: Die Bandbreite der Zuschreibungen an Menschen mit psychisch Erkrankungen reicht von peinlich über gefährlich bis hin zu ansteckend. Im deutschsprachigen Raum wird das Problem historisch noch dadurch verstärkt, dass es in der NS-Zeit tatsächlich lebensgefährlich war, psychisch krank zu sein.“

„Nur Reden hilft gegen Tabus!“

Klug weist aber darauf hin, dass es keineswegs notwendig ist, die bestehende Situation als unveränderbar anzusehen: „Tabus sind keine niedergeschriebenen Regeln, sondern nicht mehr hinterfragte, emotional aufgeladene soziale Normen. Um Tabus aufzulösen, gibt es nur einen Weg: Darüber reden! Nur ein Öffentlichmachen des Themas, Gespräche über Tabus und ihre Hintergründe können helfen, etwas zu verändern.“

Gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft sich nicht durch den Wunsch des gegenseitigen Verstehens oder zumindest durch Toleranz gegenüber Andersdenkenden auszeichnet, ist es pro mente Austria wichtig, ein eindeutiges Signal zu setzen, dass Tabus und Vorurteile nichts Unveränderliches sind. Klug: „Wir schaffen uns unsere Tabus selbst, also können wir sie als Gesellschaft auch wieder ändern.“

 

pro mente Austria/ Red.
Mai 2022

Bild: Shutterstock/Yunaco/Max kegfire

Zuletzt aktualisiert am 09. Mai 2022