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Die Angst vor der Panik_G_Psych

Die Angst vor der Panik

Eine Panikattacke ist eine schlimme Erfahrung. Aus diesem Ereignis heraus entwickelt sich häufig die Angst vor weiteren Anfällen. Das führt oft zu sozialem Rückzug, Vermeidungsverhalten und noch mehr Angst. Diesen Kreislauf der Angst gilt es zu durchbrechen. 

Die erste Panikattacke ist immer eine einschneidende und oft auch traumatische Erfahrung. Wie aus dem Nichts rast plötzlich das Herz, die Brust wird eng, der Schweiß bricht aus. Schwindel oder Übelkeit treten auf, man fürchtet, ohnmächtig zu werden oder zu ersticken. Oder man glaubt die Selbstkontrolle oder gar den Verstand zu verlieren und verrückt zu werden. Am dramatischsten ist in den (drei bis dreißig) Minuten einer Panikattacke jedoch die Angst oder die (vermeintliche) Gewissheit, einen Herzinfarkt zu erleben und in diesen Augenblicken sterben zu müssen. 

Entwarnung im Krankenhaus 

Die Zahl und Heftigkeit der Symptome einer Panikattacke können verschieden ausgeprägt sein. Gemeinsam ist ihnen, dass die Betroffenen in Todesangst geraten. Wer so ein Ereignis zum ersten Mal erlebt, ruft daher die Rettung oder versucht auf andere Weise, schnellstmöglich in ein Krankenhaus zu gelangen. Dort angekommen, wird nach den ersten medizinischen Untersuchungen Entwarnung gegeben. Dem verängstigten Patienten wird mitgeteilt, dass er keinen Herzinfarkt gehabt hätte und dass sein Herz in Ordnung sei und dass er vielmehr „bloß“ eine Panikattacke erlebt habe und er wieder nach Hause gehen dürfe. 

Körperlich ungefährlich 

In dieser Situation – nach der ersten Panikattacke – ist es wichtig, dass man sich als Betroffener gut informiert, was da mit einem geschehen ist und wie man damit umgehen kann, um die erlebte Attacke richtig einordnen zu können. Man weiß dann: Eine Panikattacke ist körperlich ungefährlich. „Weder ist das Herz krank, noch liegt ein sonstiges körperliches Gebrechen vor. Auch liegt in der Regel keine psychische Erkrankung vor. Es handelt sich vielmehr um eine körperliche Reaktion auf eine belastende psychosoziale Belastungssituation“, sagt der Linzer Psychotherapeut und Angstexperte Dr. Hans Morschitzky. 

Alarm der Psyche 

Eine Panikattacke trifft einen zwar wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Oft brodelt jedoch im Untergrund schon seit längerer Zeit eine Belastung, die sich in Form eines gewaltigen Adrenalinausstoßes plötzlich Bahn bricht und sich durch die heftigen Symptome einer Panikattacke bemerkbar macht. Obwohl sie sich abrupt und unvorhersehbar manifestieren, sind sie das Produkt einer Entwicklung. Es ist wichtig zu verstehen, dass eine Panikattacke ein Warnsignal, ein Alarm der Psyche ist. Sie weist darauf hin, dass im Leben des Betroffenen schon seit langem etwas nicht stimmt und dass man sich dieser – oft verdrängten – Situation endlich widmen sollte.  

Folge von Drogenkonsum 

Was konkret in der Vorgeschichte belastend war, ist von Person zu Person natürlich verschieden. Meist handelt es sich aber um die klassischen Belastungen – wie etwa berufliche Überforderung, oft gepaart mit familiärem Stress; große Verluste wie Scheidung, Todesfall oder Jobverlust; finanzielle Probleme oder dauerhafte Überlastung und Unzufriedenheit. Diese Probleme bestehen meist schon lange Zeit, bevor sich die Überlastung der Psyche in einem ersten Panikanfall entlädt. Neben langandauernden Belastungssituationen gibt es aber auch bestimmte substanzgebundene Auslöser von Panikattacken: Medikamente wie Antidepressiva (manchmal zu Beginn der Einnahme), Neuroleptika, verabreichte Schilddrüsenhormone und vor allem Drogen (THC, Kokain, Psycho-Pilze etc.). 

Richtige Reaktion  

Wer sich nach der ersten Attacke gut informiert, und daher um die körperliche Ungefährlichkeit und die Ursache der Attacke Bescheid weiß und in der Folge seine Probleme nicht länger übergeht, sondern sie zu lösen beginnt, hat gute Chancen, nie wieder eine Attacke erleben zu müssen. Da jedoch die meisten Betroffenen weitermachen wie bisher, ist eine zweite Attacke oft nur eine Frage der Zeit. In dieser Situation – meist nach der ersten oder zweiten Attacke –entsteht ein neues Problem, eine neue Angst: die Angst vor weiteren Panikattacken. 

Zweifel am Gesundheitszustand 

Die erste Panikattacke und die durchgemachten Ängste vergisst man nicht so einfach. Es ist nur natürlich, dass man sich wünscht, so etwas nie wieder erleben zu müssen. Viele Betroffene reagieren stark verunsichert. Auch wenn ihnen der Arzt gesagt hat, dass ihr Körper nicht krank sei, können das manche nicht glauben. Selbst weitere Kontrolluntersuchungen können diese Angst nicht restlos und vor allem nicht dauerhaft beseitigen. Das Erlebte war derart massiv, so etwas könne doch unmöglich von der Psyche allein ausgelöst werden, da muss doch etwas mit dem Köper nicht stimmen, so die Mutmaßungen.  

Erwartungsangst 

In vielen Fällen entwickelt sich nach der ersten oder zweiten Panikattacke eine Erwartungsangst vor neuerlichen Attacken. Oft reicht eine einzige Attacke aus, dass man in banger Erwartung eines neuerlichen Anfalls lebt. Das geschieht vor allem dann, wenn der Vorfall traumatisierend war und die betreffende Person ohnehin eher sensibel und ängstlich ist.

„In der Furcht vor ersten Symptomen beobachtet man sich und vor allem den Körper dann sehr genau. Man horcht in sich hinein, ob man Unregelmäßigkeiten aufspüren kann: Wie schlägt das Herz? Bin ich zu sehr gestresst? Wie ist der Puls? Fühle ich mich irgendwie unwohl oder komisch?“ sagt Dr. Morschitzky.  

Kreislauf der Angst 

Jedes minimale Körpersymptom oder auch psychisches Unwohlsein wird fälschlich als Gefährdung bewertet. Dieses Verhalten mindert nicht nur die Lebensqualität enorm, sondern es begünstigt das tatsächliche Entstehen der nächsten Panikattacke. Denn die durch die Ängste und Selbstbeobachtung entstehende Daueranspannung ist der Nährboden der nächsten Attacke. Durch dieses Verhalten startet man einen Kreislauf der Angst. Die Ursache der nächsten Attacke ist also nicht nur in den Belastungen der Vergangenheit zu suchen, sondern wird durch die neue gegenwärtige Angst vor einer neuen Panikattacke geschaffen. Verknappt gesagt: Die Angst vor der Panikattacke führt zur Panikattacke. Die Angst vor der Angst ist geboren.  

Vermeidung und Rückzug 

Die Lebensqualität sinkt nicht nur wegen der ängstlichen Selbstbeobachtung, sondern vor allem durch das geänderte Verhalten. Da Betroffene nach einer Aufklärung wissen, dass Stress und Belastungen Hintergrund der Panikattacke waren, reagieren viele auf dieses Wissen – doch leider in der falschen Richtung. Statt die tatsächliche Lebenssituation aktiv zu verbessern und Lösungen anzustreben, ziehen sie sich in eine große Passivität zurück und versuchen jeglichem Stress aus dem Weg zu gehen. Sie werden risikoscheu, versuchen ihr Herz zu schonen, gehen jeder Aufregung aus dem Weg, beteiligen sich nicht mehr an Problemlösungen, ziehen sich vor den „Aufregungen“ des Lebens zurück. Sie meiden gesellige Anlässe, die ihnen früher Freude bereitet haben, versuchen möglichst „neutral“ zu leben, also ohne Gefühlswallungen und verzichten damit auch auf positive Gefühle und Erfahrungen. 

Vorkehrungen für den Fall der Fälle 

Um weitere Panikattacken möglichst zu vermeiden oder für deren Auftreten gewappnet zu sein, werden Vorkehrungen und Sicherungsmaßnahmen getroffen. Beispielsweise meidet man Situationen, in denen die bisherigen Panikattacken aufgetreten sind und Orte, wo das keinesfalls geschehen sollte, weil das sehr peinlich wäre (Öffentlichkeit, Verkehrsmittel, Gaststätten etc.); oder man trägt ständig Notfallmedikamente (z.B. Benzodiazepine) oder andere Beruhigungsmittel bei sich, die man beim ersten Anzeichen einer Attacke oder sogar vorbeugend einnimmt; oder man greift zu Alkohol; oder man hält sich bei akuter Angst vor einem baldigen Anfall in der Nähe eines Krankenhauses auf, um im Notfall rasch Hilfe zu bekommen; oder man zieht sich immer weiter aus dem sozialen Leben zurück und verlässt das Haus nur mehr selten oder in Begleitung. 

Vermeidung vermeiden 

Vermeidung und Streben nach Sicherheit ist jedoch keine Lösung, sondern Teil des Problems. Denn wie jede andere Angst auch, wächst die Angst durch Vermeidung. „Mehr als die Hälfte der Panikpatienten flüchten sich in eine oder mehrere dieser Vermeidungstaktiken. Wenn man dem nicht gegensteuert, isoliert man sich immer weiter und eine normale Lebensführung wird unmöglich. Diese Patienten verzichten auf die vielen positiven und erfreulichen Erfahrungen, die das Leben zu bieten hat und es besteht die Gefahr, dass sie in eine Depression abrutschen“, sagt Dr. Morschitzky. 

Einmaliger Gesundheitscheck 

Niemand ist seiner Angst hilflos ausgeliefert, jeder kann etwas unternehmen, um dieses Problem zu bewältigen. Erster Schritt: Lassen Sie sich körperlich untersuchen. Jedoch nur einmal gründlich und nicht ständig. Ein Gesundheitscheck zeigt, dass man körperlich gesund ist und sich ab sofort seiner Lebenssituation und den Ängsten zuwenden kann. 

Veränderungen einleiten 

Da Panikattacken meist auf Belastungssituationen fußen, die zu hoher Anspannung führen, sollte man das Übel bei der Wurzel packen und nicht bloß die Symptome bekämpfen oder zu verhindern versuchen. Es ist also nötig, die Belastungssituationen zu analysieren (was bereitet mir Stress und Sorgen etc.) und sie nach und nach aufzulösen. Wenn das nicht möglich ist, empfiehlt es sich, die Hilfe einer Psychotherapie in Anspruch zu nehmen.  

Der Angst ins Gesicht blicken 

Zusätzlich ist es wichtig, Einstellung und Verhalten in Bezug auf weitere mögliche Panikattacken zu verändern. Obwohl die erlebte Attacke als große Bedrohung empfunden wurde, ist es entscheidend, nicht zu versuchen, einer weiteren möglichen Attacke aus dem Weg zu gehen. Der Schlüssel zur Bewältigung liegt darin, der Angst ins Auge zu sehen und auf Vermeidungsstrategien zu verzichten. „Wenn eine Panikattacke im Anzug ist, sollte man versuchen, diese ohne Gegenwehr zuzulassen und möglichst rational zu beobachten, was im Augenblick geschieht. Man sollte nicht versuchen, Symptome zu unterdrücken, denn das würde die Anspannung noch erhöhen. Sagen Sie sich stattdessen: alles, was gerade abläuft, kann ich ertragen, auch wenn es unangenehm ist. Ich weiß, dass keine Lebensgefahr besteht und ich kann auch nicht verrückt werden“, rät Dr. Morschitzky. 

Bewegung hilft 

Bei einer akuten Panikattacke ist es hilfreich, wenn man sich bewegt, denn die vielen Stresshormone im Körper werden durch Bewegung rascher abgebaut. Auch bei niedrigem Blutdruck tut Bewegung gut, sie führt zu einem Blutdruckanstieg und verhindert eine mögliche Ohnmacht, die viele Panikpatienten fürchten. Ansonsten gilt: Bewusst langsam ein- und ausatmen, um keine Hyperventilation zu erzeugen. 

Verhaltenstherapie 

Wer in einem Kreislauf der Angst gefangen ist und immer wieder mit Panikattacken zu kämpfen hat, dem kann eine Verhaltenstherapie helfen. „Die Patienten lernen dabei, sich unter Verzicht auf Fluchtreaktionen den angstauslösenden Situationen zu stellen. Zuerst im Gedanken, später auch real. Ziel der Therapie ist es zu lernen, mit seiner Angst immer besser umgehen zu können, wodurch sich die Panikattacken verringern oder ganz ausbleiben. Zudem ist es sinnvoll, auch die anderen belastenden Lebensfaktoren zu besprechen und damit dem Warnsignal Panikattacke seinen Treibstoff zu nehmen“, sagt Dr. Morschitzky.

 

Dr. Thomas Hartl
Februar 2023


Bild: Tero Vesalainen/shutterstock.com



Zuletzt aktualisiert am 16. Februar 2023