Gedanken wirken wie Medizin. Überzeugungen und Erwartungen beeinflussen die Gesundheit und die Genesung von Krankheiten. Jeder kann seine Gedanken gezielt einsetzen, um seine Selbstheilungskräfte zu stärken.
Placebo und Nocebo
Die Annahme, dass der Glaube Berge versetzen kann, spielt auch in der Medizin eine große Rolle. Die Macht des Geistes zeigt Wirkung, wie die Placebo-Forschung belegt. Unter einem Placebo versteht man in der Medizin Scheinmedikamente, die eine medizinisch völlig wirkungslose Substanz, wie beispielsweise Zucker, enthalten. In einem weiten Sinn kann unter einem Placebo jede Art von Behandlung verstanden werden, die nur zum Schein durchgeführt wird. Die Wirkung dieser Scheintherapie nennt man Placebo-Effekt. Der Effekt besteht darin, dass tatsächlich Besserung oder sogar Heilung eintritt. Dieser Effekt kommt durch die Erwartung des Patienten zustande, dass ihm die Behandlung (Tablette, Spritze & Co) auch wirklich hilft. Viele Studien belegen die Wirkung des Placeboeffektes, also die Wirksamkeit von Gedankenkraft.
An die Therapie glauben
Wer krank ist, zum Arzt geht und die verschriebenen Medikamente schluckt – und darüber hinaus an deren Wirkung glaubt, hat bessere Heilungschancen als jemand, der nicht daran glaubt – sei es, weil er beispielsweise Medikamente generell ablehnt oder den Arzt für inkompetent hält. Der Unterschied liegt in der Überzeugung und Erwartung des Patienten.
Die neurobiologische Forschung fördert immer mehr Erkenntnisse über die Funktionsweisen des Gehirns zutage. Immer klarer zeigt sich, dass unsere Gedanken mehr bewirken als wir gemeinhin annehmen.
„Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen 15 Jahre sind eindeutig. Gedanken wirken auf den Körper sehr stark und spezifisch ein. Woran wir glauben, was wir erwarten, ist eben nicht egal. Die Vorstellungskraft kann helfen, im Krankheitsfall schneller gesund zu werden und es lassen sich sogar Medikamente einsparen. Besonders wirksam ist eine feste innere Überzeugung. Wer an eine Therapie, ein Medikament oder irgendein anderes Heilverfahren stark glaubt, dem geht es besser und er verbessert seine Heilungschancen“, sagt Dr. Marcus Täuber, Neurobiologe und Leiter des Instituts für mentale Erfolgsstrategien in Wien.
Ablehnung und Angst sind kontraproduktiv
Freilich gilt auch das Gegenteil. Man kann sich auch krank denken. Angst vor einer Tablette mindert deren Wirksamkeit und erhöht das Risiko von Nebenwirkungen. In diesem Fall spricht man von einem Nocebo-Effekt. Wer von einer Krankheit und der Unmöglichkeit seiner Genesung überzeugt ist, erschwert dem Körper den Heilungsprozess.
Der Gesundheitsbereich ist geprägt von Warnungen aller Art. Sei es im Bereich der Ernährung („Achtung vor dem Verzehr von Fleisch, Milch, Weizen etc.“) oder auf irgendeinem anderen Gebiet. Viele dieser Warnungen sind inhaltlich richtig, können aber für den, der sie sich zu sehr zu Herzen nimmt, Stress verursachen und Angst erzeugen. „Es ist daher wichtig, eine positive Sprache zu wählen und immer auch positive Alternativen aufzuzeigen“, sagt der Neurobiologe.
Ärztliche Autorität und Empathie
Der Placeboeffekt zeigt sich auch in den Arztordinationen. Ein weißer Kittel und eine souveräne Ausstrahlung verleihen einem Arzt eine gewisse Autorität, die die Patienten insofern beeinflusst, als dass sie seinen Worten vertrauen. Und Vertrauen ist eine gute Medizin, welche der Therapie entscheidend hilft. Der weiße Arzt-Kittel ist kein Zufall, sondern ein wirksamer Baustein der Therapie. Ein Arzt in Freizeitkleidung würde nur wenig Kompetenz ausstrahlen.
Kompetentes Auftreten allein ist jedoch zu wenig. Patienten brauchen auf dem Weg der Genesung auch Zuwendung und Empathie. Wenn ein Arzt sich kaum mit dem Patienten befasst, sondern nur auf seinen Bildschirm sieht, fühlt sich der Patient nicht ernst genommen und das Vertrauen in Arzt und Therapie geht verloren – und mit ihm auch der so hilfreiche Placeboeffekt. „Die Mischung ist entscheidend. Ein Arzt sollte sowohl erkennbar kompetent als auch mitfühlend sein. Dann fühlt sich der Patient gut aufgehoben und vertraut darauf, dass er die richtige Behandlung bekommt und gesund wird. Und dieses Vertrauen trägt maßgeblich dazu bei, dass das auch gelingt“, erklärt Dr. Täuber.
Einfluss auf Schmerzen & Co
Man kann sich das Gehirn als eine Art innere Apotheke vorstellen, welche Stoffe produziert, die sich auf die Gesundheit unmittelbar auswirken. Mittels Gedankenkraft lassen sich viele Beschwerden und Erkrankungen beeinflussen. Zu nennen sind hier insbesondere Schmerzen, Ängste und Depressionen. Dr. Täuber: „Aber sogar bei Krankheiten wie Osteoporose lässt sich erwiesenermaßen die Knochendichte steigern, indem man glaubt, ein Mittel für Knochenwachstum gespritzt zu bekommen. In Wahrheit handelt es sich aber bloß um eine Kochsalzlösung. Freilich gibt es auch Grenzen des Beeinflussbaren: Bei fortgeschrittener Demenz können keine Verbesserungen erzielt werden, da das Gehirn bereits schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde.“
Mehrere Wirkmechanismen
Die in früheren Zeiten vermutete Trennung von Körper und Geist ist längst widerlegt. Körper und Geist beeinflussen sich wechselseitig – in positiver wie auch in negativer Hinsicht. Doch wie kommt es dazu? Es bestehen mehrere Wirkmechanismen, welche man sich als Brücken zwischen Psyche und Körper vorstellen kann. „Solche Brücken sind die Informationen, die unsere Annahmen, Überzeugungen und Vorstellungen erzeugen und über elektrische Impulse und chemische Stoffe vom Kopf in den Körper wandern. Sie wirken auf das Immunsystem, die Ausschüttung von Hormonen und die glatte Muskulatur“, so der Neurobiologe.
Dr. Täuber nennt dazu folgende Beispiele zur Veranschaulichung:
- Die glatte Muskulatur ist Bestandteil der Wände der Blutgefäße. Dauerstress lässt diese Muskeln anspannen und führt zu Bluthochdruck. Lange Zeit glaubte man, diese Art von Muskulatur nicht beeinflussen zu können, doch mittels Entspannungstechniken ist das sehr wohl möglich.
- Ein Beispiel für die Wirkung von Hormonen: Die Erwartungshaltung führt zu neurobiologischen Veränderungen im Gehirn. Ein Schlüsselelement ist der Hirnbotenstoff Dopamin. Wenn das Dopamin steigt, steigt auch das als Glücksbotenstoff bekannte Serotonin, welches wiederum mit dem Stresshormon Cortisol interagiert. Wer auf die Wirksamkeit einer Therapie vertraut und zuversichtlich ist, senkt seinen Stresslevel und verbessert die Wirkung der Behandlung.
- Der Zusammenhang von Immunsystem und Gedanken: Stress hat über den Weg des Immunsystems und deren Zytokine negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Das limbische System kann, ähnlich wie bei einem Angriff durch Viren und Bakterien, Entzündungen hervorrufen. Während sich der Körper nach einer Infektion meist rasch wieder erholt, ist das bei einer dauerhaften psychischen Belastung nicht der Fall. Entzündungen und ein angeschlagenes Immunsystem werden zum dauerhaften Begleiter und fördern die Entstehung einer Vielzahl von Erkrankungen. Dazu gehören beispielsweise Allergien, Asthma, Rückenprobleme, Migräne, die Neigung zu Infekten und Autoimmunerkrankungen.
Die Macht der Entspannung
Entspannung und Stressmanagement wirken wie ein Regenschirm, der uns den einprasselnden Stress vom Leib hält. Techniken, um zur inneren Ruhe zu kommen, gibt es viele, hier die erprobtesten in Kürze:
Meditation: Ziel ist es, Ruhe im Kopf zu erlangen, die Gedanken zu beruhigen, leer zu werden.
Imagination (Visualisierung): Innere Bilder beeinflussen unsere Gesundheit sehr stark. Mit ihnen zu arbeiten, ist ein mächtiges Werkzeug, das jedem von uns zur Verfügung steht. Man stellt sich heilende Prozesse bildlich vor. Ein Beispiel: Man pinselt im Gedanken die Farbe Weiß über die schmerzende Stelle und stellt sich dabei eine kühlende Wirkung vor. Weiß steht für Reinheit und Heilung.
Autosuggestion: Man suggeriert sich selbst Heilformeln, praktiziert eine Art Selbsthypnose. Beispiel: „Meine Schulter wird ab sofort besser und besser. Die Heilung hat begonnen.“ Wirkvoller ist der Prozess, wenn man sich die Schritte zum Erfolg auch bildlich vorstellt und sich in die vorweggenommene Heilung hineinfühlen kann.
Gedanken als Teil des Lebensstils
Während negative Gedanken psychischen Stress bedeuten und den Selbstheilungsprozess bei Krankheiten hemmen, unterstützen positive Gedanken die Gesundung. Die Kraft der Gedanken für eine aktive Selbstheilung wird jedoch erst von wenigen Menschen gezielt angewandt. Eine gewisse Psychohygiene wäre der geistigen und körperlichen Gesundheit förderlich. Gerade in herausfordernden Zeiten ist es wichtig, die Welt der Gedanken möglichst positiv zu gestalten und jeden Tag ein wenig in ihre Lenkung zu investieren. Sei es durch Mediation, Imagination oder Autosuggestion. „Man sollte die eigene Gedankenhygiene als Teil eines gesunden Lebensstils betrachten und ihr den gleichen Stellenwert beimessen wie nicht zu rauchen, sich körperlich viel zu bewegen und gesund zu essen“, erklärt Dr. Täuber.
Dr. Thomas Hartl
Oktober 2023
Bild: Nabilah Khali/shutterstock.com