Eine Hormontherapie nach der Menopause kann möglicherweise das Demenz-Risiko von älteren Diabetikerinnen erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommen US-Forscher nach der Analyse von Langzeit-Daten der Women’s Health Initiative, berichtet die deutsche Medizinplattform medscapemedizin.de.
„Höhere Östrogenspiegel könnten das durch den Diabetes bereits erhöhte Risiko einer Beeinträchtigung der kognitiven Funktion bei älteren Frauen weiter steigern“, warnen die Autoren unter Leitung von Dr. Mark Espeland von der US-amerikanischen Wake Forest School of Medicine in Winston-Salem, North Carolina. Grund dafür könne eine Hemmung der Energieversorgung des Gehirns durch die Östrogene sein, schreiben sie in „Diabetes Care“, dem Journal der American Diabetes Association.
„Völlig überraschend ist dieses zusätzlich manifestierte Risiko einer Demenz nicht, da es sich bei Diabetes und Östrogengabe um zwei bereits bekannte Risikofaktoren handelt“, erklärt Prof. Dr. Matthias Weber, Leiter der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), der deutschen Medizinplattform medscapemedizin.de. „Möglicherweise handelt es sich um zwei unabhängige Risikofaktoren die sich gegenseitig potenzieren.“
Östrogene greifen in Glukosestoffwechsel ein
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass ein Typ-2-Diabetes die Entwicklung einer Demenz bei älteren Menschen begünstigen kann, so medscapemedizin.de. Östrogen ist an der Regulierung des Glukosestoffwechsels im Gehirn beteiligt. Deswegen vermuteten die Forscher, dass eine Östrogentherapie die kognitive Funktion von Diabetikern zusätzlich negativ beeinflusst. Diesen Zusammenhang haben sie anhand von Daten des 18-Jahres-Follow-ups der „Women’s Health Initiative Memory Study (WHIMS)“, einer Subgruppen-Analyse zur kognitiven Funktion der über 65-jährigen Frauen im Rahmen der WHI-Hormontherapiestudien, genauer untersucht.
Die WHI-Studien (1995 – 1999) hatten die Gabe von Östrogen an ältere Frauen sowohl nach einer Gebärmutterentfernung als auch bei erhaltenem Uterus in Kombination mit Medroxyprogesteron-Acetat (MPA – ein Gestagen zur Empfängnisverhütung „Dreimonatsspritze“) untersucht. Die Studien waren aufgrund eines häufigeren Auftretens von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und von Brustkrebs unter Östrogengabe im Jahr 2002 frühzeitig gestoppt worden.
Für die WHIMS-Substudie wurde das Follow-up bis 2007 weitergeführt und danach als Women’s Health Initiative Study oft the Epidemiology of Cognitive Health Outcomes (WHIMS-ECHO) fortgesetzt.
Die kognitive Funktion der Probandinnen wurde in der WHIMS bis 2007 per Modified Mini-Mental State (3MS)-Test und in der WHIMS-ECHO-Studie per Telefon-Interview mit 40 Fragen zum kognitiven Status ermittelt. Insgesamt untersuchten die Forscher 7.233 Frauen im Alter von 65 bis 80 Jahren auf ihren Typ-2-Diabetes-Status und protokollierten die eventuelle Entwicklung einer kognitiven Beeinträchtigung bzw. Demenz über eine Periode von 18 Jahren.
Erwartungsgemäß hatten Frauen mit Diabetes ein höheres Risiko für eine kognitive Beeinträchtigung oder Demenz. Eine Hormontherapie erhöhte dieses Risiko noch weiter.
„Völlig überraschend ist dieses zusätzlich manifestierte Risiko einer Demenz nicht, da es sich bei Diabetes und Östrogengabe um zwei bereits bekannte Risikofaktoren handelt“, so Weber.
Forscher vermuten beeinträchtigten Hirnstoffwechsel
Espeland und seine Kollegen vermuten als Ursache, dass die Östrogengabe den Energiestoffwechsel im Gehirn beeinträchtigt. Vor der Menopause, erklären sie, unterstütze Östrogen dort den Glukose- und unterdrücke den Fettstoffwechsel. Während der Menopause stelle das Gehirn aufgrund des fehlenden Östrogens mehr auf Fettverbrennung zur Energiegewinnung um. Eine postmenopausale Östrogengabe wiederum unterdrücke diesen Fettstoffwechsel, könne jedoch die Verbrennung von Glukose nicht wieder in Gang setzen.
„In diesem Fall wäre das für Diabetikerinnen besonders schädlich, weil das Gehirn den Glukosestoffwechsel kompensieren muss und daher noch mehr auf die Fettverbrennung zur Energiegewinnung fokussiert“, erklären sie. „Diese Hypothese klingt interessant und durchaus plausibel“, sagt Weber. Weitere Untersuchungen müssten diese Vermutung nun bestätigen.
Interaktion zwischen Diabetes und Hormontherapie nur ohne Gestagengabe
Jedoch war der Zusammenhang von Diabetes und Östrogengabe auf die Gruppe beschränkt, die ausschließlich Östrogene (Follikelhormon aus den Eierstöcken – lösen indirekt den Eisprung aus) und kein Gestagen (Gelbkörper- oder Schwangerschaftshormon) erhielt. „Das deutet an, dass MPA weiterhin als Antagonist der Östrogenwirkung im Gehirn agiert“, bemerken die Autoren.
Im Laufe einer nachfolgenden Studie zeigten insgesamt 11,7% der Diabetikerinnen Anzeichen für Demenz, im Vergleich zu 8,4% der Frauen, die nicht an Typ-2-Diabetes erkrankt waren. Bei Placebo-Gabe wiesen Diabetikerinnen und nicht erkrankte Frauen etwa gleich viel Anzeichen einer Demenz auf (7,2 bzw. 7,9 Prozent). Der Einfluss anderer Faktoren wie Bluthochdruck, vorherige kardiovaskuläre Erkrankungen, BMI und Ergebnisse des 3MS-Tests zu Studienbeginn wurden in der statistischen Auswertung berücksichtigt und herausgerechnet.
Je länger die Nachfolgestudie dauerte, desto mehr glichen sich die Demenz-Raten unter Medikamenten- und Placebo-Gabe an. „Das stimmt mit den Hypothesen früherer Berichte der WHI-Studien überein, die besagen, dass die Hormontherapie eine kognitive Beeinträchtigung oder Demenz derer beschleunigt, die ohnehin bereits ein hohes Risiko für eine solche Erkrankung haben“, schlussfolgern Espeland und seine Kollegen. „Daher wäre eine Untersuchung des Einflusses einer perimenopausalen Östrogengabe über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren auf das Demenzrisiko durchaus interessant“, so Weber.
Östrogengabe soll Wechsel-Beschwerden lindern
Interessant und wahrscheinlich von klinischer Relevanz wäre eine Untersuchung der Auswirkungen einer Östrogengabe bei jüngeren Frauen unter 60 Jahren während der Menopause, schlagen Espeland und Kollegen vor. Nach der Publikation der WHI-Studie, erklärt Weber, sei eine „große Umstellung in der Hormontherapie“ erfolgt.
Mittlerweile erhalten Frauen die Östrogene eher kurz vor und nach der Menopause (Perimenopause), „vor allem um Symptome wie Hitzewallungen zu lindern und nicht, um Krankheiten zu verhindern oder länger zu leben“, bemerkt der Endokrinologe und Diabetologe. „Daher wäre eine Untersuchung des Einflusses einer perimenopausalen Östrogengabe über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren auf das Demenzrisiko durchaus interessant.“
Noch entscheidender als die Auswirkungen einer Hormontherapie sei jedoch der Einfluss des Diabetes auf das Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten. „Das ist ein wichtiger Risikofaktor, der sich durch einen gesunden Lebensstil positiv beeinflussen lässt“, betont Weber. „Durch Bewegung, Nichtrauchen und gesundes Essen kann man sowohl sein Risiko für Demenz als auch das für Diabetes reduzieren.“
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Mag. Christian Boukal / medscapemedizin.de
Dezember 2015
Foto: shutterstock