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Erfolgsgeschichte Hühnchenfilet mit Quitten-Orangen-Sauce

Erfolgsgeschichte

Bei Mensch und Huhn ist nicht ganz klar, wer hier wen kultiviert hat. Sicher, am Ende der Beziehung hat das Huhn meist das Nachsehen und wird verspeist. 

Bevor es dem Huhn an den Kragen geht, wird es so effizient gefüttert, gezüchtet, gehegt und gepflegt, dass es weltweit mittlerweile dreimal mehr Hühner als Menschen gibt. Die Geschichte von Mensch und Huhn, könnte man sagen, ist für beide Seiten eine Erfolgsgeschichte.  

Begonnen hat sie in den Urwäldern Südostasiens. Dort leben noch heute seine wilden Verwandten, die dem Zoologen als Gallus gallus – Bankivahuhn – bekannt sind. Vor 10.000 Jahren begann man, den Vogel zu domestizieren – allerdings nicht, um ihn zu verspeisen. Das wilde Huhn galt und gilt als äußerst aggressiv. Die ersten dieser Vögel wurden gehalten, um ihnen beim Kämpfen zuzusehen. Der Weg vom verlorenen Kampf in den Kochtopf ist nur ein kurzer, und als der Vogel um 500 vor Christus mit indischen Händlern das Mittelmeer erreichte, galt er bereits als Delikatesse. Die Ägypter entwickelten die ersten beheizbaren Legebatterien, die Römer erfanden die Hühnermast und das Omelett. So maßlos wurde die römische Hühnerschlemmerei, dass ein Gesetz zur „Eindämmung der Dekadenz“ aus 161 vor Christus es verbot, mehr als ein Huhn pro Mahlzeit zu verspeisen. Trotzdem hat das Huhn die allermeiste Zeit nur einen sehr bescheidenen Beitrag zur menschlichen Ernährung geleistet. Zu mühsam war seine Aufzucht, zu mager seine Schenkel und Brüste, als dass es viele Mäuler gestopft hätte. Üblicherweise hielten Bauern eine Hand voll Tiere. Im Herbst, wenn sie begannen, weniger Eier zu legen, wurden die meisten geschlachtet und verzehrt. Mit dem Untergang des Römischen Reichs verschwand das Huhn fast vollständig vom europäischen Speisezettel. Erst im 20. Jahrhundert sollte es sein großes Comeback feiern. 

In den vergangenen Jahrzehnten ist das Huhn von einer kulinarischen Randerscheinung zum weltweit meistgegessenen – und wohl auch meistgequälten – Tier geworden. Schuld daran waren zwei Entdeckungen: die Antibiotika und die Vitamintabletten. Erstere machten es möglich, riesige Herden auf engstem Raum zu halten, ohne dass die Tiere an Seuchen starben. Dank Zweiterer konnten sie nun in Hallen gehalten werden, wo sich Temperatur und Tagesryhthmus genau kontrollieren lassen. Vorher war eine reine Indoorhaltung nicht möglich, weil Hühner genau wie Menschen Tageslicht brauchen, um Vitamin D zu erzeugen.   

Wertvolles Eiweiß

Hühner statt andere Tiere zu essen hat gewisse Vorteile: Das Huhn ist ein äußerst ressourcenschonender Fleischlieferant, es braucht heute bloß zwei Kilo Futter, um ein Kilo Hühnerfleisch zu ermästen. Zum Vergleich: Beim Schwein liegt das Verhältnis bei eins zu drei, beim Rind bei eins zu sieben. Hühnerfleisch ist relativ fettarm, das Fett gilt zudem als gesünder als jenes anderer Tiere, weil es mehr mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthält. Die „biologische Wertigkeit“ seines Eiweißes ist hoch: Aus 100 Gramm Hühnereiweiß kann der Körper 80 Gramm eigenes Eiweiß aufbauen – beim Rind liegt dieser Wert bei 67, bei Weizen gar nur bei 47 Gramm. Andererseits werden Hühner in Massentierhaltung in nur 30 Tagen mit Medikamenten und Kraftfutter, mitunter aus Fischmehl oder geschredderten Hahnenkücken, auf ihr Schlachtgewicht gemästet. Die Tiere können sich kaum bewegen und sehen in ihrem kurzen Leben nie das Tageslicht. Hühner artgerecht zu halten und zu schlachten ist aufwendig und daher sehr teuer. Bis in die 1960er Jahre kosteten Hühner-Gerichte in österreichischen Wirtshäusern mehr als solche von Schwein und Rind. Heute ist Huhn in Österreich zu Billigfleisch degradiert – bei keinem anderen Fleisch ist es so schwer, gute Qualität aus vorbildlicher Haltung zu bekommen.

 

Tobias Müller 

Oktober 2017


Bild: Werner Harrer


Zuletzt aktualisiert am 13. November 2020