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Mobbing von oben – wenn das Arbeitsleben zur Hölle wird

Mobbing von oben – wenn das Arbeitsleben zur Hölle wird

Den Begriff „Mobbing“ kennt fast jeder. „Bossing“ ist wahrscheinlich weniger bekannt. Der Unterschied ist leicht erklärt: In einem Fall schikanieren die Kollegen, im anderen sind es Vorgesetzte, die einem das Arbeitsleben zur Hölle machen können. Doch man muss sich nicht alles gefallen lassen. Denn ob Bossing oder Mobbing -  beides kann der psychischen und körperlichen Gesundheit schaden.  

Sabine ist Mitte 50 – also quasi im besten Alter. Die Kinder sind wohlgeraten und außer Haus, der Mann ist seit fast 30 Jahren immer noch an ihrer Seite, das Bankkonto ist gut gefüllt, die Arbeit passt, der Freundeskreis ist klein aber fein, auch gesundheitlich ist alles im Lot und es gibt nur altersbedingte kleinere Wehwehchen. Also eigentlich sollte es Sabine richtig gut gehen – wäre da nicht ihre Chefin, die sich seit einiger Zeit sehr befremdlich benimmt. Sabine bekommt immer mehr Arbeit zugewiesen, wichtige Infos erhält sie nicht mehr und sie wird von ihrer Chefin permanent kritisiert und beleidigt. Ihre Kolleginnen und Kollegen schauen meistens weg, um es sich nicht mit der Vorgesetzten zu verscherzen. Ein Zustand, der Sabine viel grübeln und nicht mehr schlafen lässt.  

Längerer Zeitraum 

Die Frage, ob es sich dabei schon um Bossing handelt, beantwortet Mag. Linda Furchtlehner, Psychologin am Kepler Universitätsklinikum Linz: „Entscheidend ist die Häufigkeit. Bossing liegt dann vor, wenn ein Mitarbeiter mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten schikaniert wird. Und es weist eine gewisse Systematik auf. Eine einzelne Aktion des Chefs ist zwar auch unangenehm, aber noch kein Fall von Bossing. Mobbende Führungskräfte haben meist die ganze Abteilung in der Hand. Das heißt, niemand traut sich etwas zu sagen, jeder duldet diese Strukturen.“  

Beleidigungen, Ausgrenzungen, Ungerechtigkeiten 

Ein „Mobbing von oben“ äußert sich sehr vielfältig: Beleidigungen, lauter Tonfall, Ausgrenzungen, Ungerechtigkeiten bei der Arbeitsverteilung, Verbreitung von Gerüchten und Witze unter der Gürtellinie sind einige der Bosheiten, die Chefs ihren Mitarbeitern antun können. „Rund sieben Prozent der Arbeitnehmer werden laut Studien gemobbt. Fast die Hälfte davon von der Führungskraft. Wobei die Dunkelziffer sicher höher liegt“, sagt die Psychologin. 

Frauen häufiger betroffen 

Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. „Sie lassen sich leichter verunsichern und einschüchtern“, so Mag. Furchtlehner. „Zu den Opfern zählen auch Berufseinsteiger, die Angst haben, den Job zu verlieren oder sich vor einem vermeintlich übermächtigen Vorgesetzten fürchten. Gefährdet sind außerdem Menschen ab 55 Jahren. Denn es gibt Firmen, die wollen ältere Arbeitnehmer loswerden, weil sie zu teuer geworden sind.“  

Warum aber mobben Führungskräfte ihre Untergebenen? Dazu die Expertin: „Das hängt mit der Persönlichkeitsstruktur zusammen. Menschen, die ein gesundes Selbstwertgefühl haben, mobben nicht. Menschen, die unsicher sind, ein geringes Selbstbewusstsein haben und Macht demonstrieren wollen, hingegen schon. Denn in der Chefetage sind sie auf einmal wer. Auch banale Gründe wie Neid, Frust oder Langeweile können eine Rolle spielen.“  

Bossing gefährdet die Gesundheit 

Bossing kann der Gesundheit der Opfer schaden. Wenn man sich jeden Tag in einer unbehaglichen Situation befindet, kann das zu chronischer Belastung führen. „Die permanente Anspannung wirkt sich nicht nur auf das Wohlbefinden negativ aus, sondern kann auch eine Reihe von Erkrankungen verursachen“, warnt Mag. Furchtlehner. „Die psychischen und physischen Leidenszustände reichen von Schlafstörungen, Kopfschmerzen über Magen-Darm-Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden bis zu Angstzuständen, oft auch in Form von Panikattacken. Schwere Folgen von Bossing können zudem Depressionen und sogar Suizidgedanken sein.“  

Daher: Je früher man erkennt, dass das Verhalten ihrer Führungskraft Mobbingstrukturen annimmt, desto eher sollte man sich wehren. „Ganz wichtig ist, dass man was tut und die Schikanen nicht über sich ergehen lässt“, betont die Psychologin. Zunächst sollte ein Mobbing-Tagebuch geführt werden, um Dinge bewusst reflektieren zu können: Was ist wann warum passiert? Außerdem sollten die Probleme vertrauten Menschen geschildert werden, um eine andere Sicht der Dinge zu erhalten – „Seh nur ich das so oder läuft wirklich etwas falsch?“ 

Probleme ansprechen 

Der nächste Weg sollte die direkte Konfrontation mit dem Chef oder der Chefin sein. „Wenn es ein Problem gibt, sollte das angesprochen werden. Das kann oft sehr entwaffnend sein.“ Meistens rechnet der Boss nicht damit, dass er mit seinem Verhalten konfrontiert wird. Häufig bemerkt er auch gar nicht, welche Gefühle er auslöst. Mitarbeiter, die das Thema ansprechen, demonstrieren zudem Stärke nach dem Motto „Mit mir nicht! Ich lass mir das nicht gefallen!“  

Auf das Gespräch mit dem Vorgesetzten sollte man sich gut vorbereiten, rät die Psychologin. Der betroffene Mitarbeiter sollte die eigene Wahrnehmung möglichst konkret und ohne zu werten schildern. Außerdem sollte er „Ich-Botschaften“ verwenden und mitteilen, dass er sich eine andere Aufgabenverteilung oder mehr Gerechtigkeit wünscht. Mag. Furchtlehner: „So ein Gespräch ist nicht einfach, Betroffene sollten es daher im Vorfeld üben und durchspielen.“ 

Hilfe suchen 

Wenn das Gespräch positiv verläuft und der oder die Vorgesetzte sein Verhalten ändert, ist der Fall praktisch erledigt. Wenn nicht, muss sich der „Gebosste“ Hilfe suchen, etwa beim Betriebsrat oder im Personalbüro. Unternehmen müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen, da sie eine Fürsorgepflicht haben.  

Bossing ist übrigens nicht nur ein Problem der Arbeitswelt, sondern kann auch in Schulen vorkommen. Nämlich dann, wenn einem Lehrer „aufsitzen“. Gebosste Schüler werden vor der Klasse bloßgestellt, ignoriert oder angeschrien. Oder sie erhalten überzogene Bestrafungen. „Junge Menschen tun sich oft besonders schwer, sich zu wehren. Sie schämen sich oder trauen sich ganz einfach nicht. Sie reagieren deshalb auch oft zu spät oder gar nicht“, schildert Mag. Furchtlehner. „Auch Schüler sollten auf jeden Fall rechtzeitig in die Offensive gehen und sich an Mitschüler, Eltern oder Vertrauenslehrer wenden. Außerdem sollten auch sie ein Mobbingtagebuch führen.“ 

Übrigens: Bei Sabine lag ganz offensichtlich ein Fall von Bossing vor. Da klar war, dass mit ihrer Chefin kein Zusammenarbeiten mehr möglich sein würde, hat sie die Abteilung gewechselt und kann ihr Leben endlich wieder genießen.

 

Cornelia Schobesberger
April 2023


Bild: fizkes/shutterstock



Zuletzt aktualisiert am 11. April 2023