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Selbst-Redend  Die meisten Selbstgespräche sind positiv

Selbst-Redend - Die meisten Selbstgespräche sind positiv

Manche reden am liebsten mit der Freundin, manche mit dem Wirt ums Eck, manche mit Händen und Füßen und manche mit der besten Ehefrau von allen. Doch mit einer Person unterhalten sich die meisten Menschen gern: mit der eigenen. Das ist grundsätzlich positiv. Negative Folgen können Selbstgespräche allerdings haben, wenn man sich selbst ständig kritisiert.  

Montag, 7.30 Uhr: Mann und Kinder sind bereits außer Haus und auch für Sabine ist es Zeit, sich auf den Weg in die Arbeit zu machen. Doch das dauert, denn: „Wo ist jetzt meine Brille? Und der Autoschlüssel? Und mein Handy?“ Sich selbst laut fragend flitzt Sabine durch die Wohnung und sucht. Schließlich entdeckt sie die Brille auf dem Nachttisch, die Schlüssel in der Jackentasche und das Handy unter der Zeitung. Auch Franz unterhält sich hin und wieder mit sich selbst. Nämlich dann, wenn er ein Regal aufbaut oder den verstopften Abfluss reinigt. Handwerkliche Tätigkeiten gelingen ihm einfach besser, wenn er sich selbst jeden Schritt erklärt. 

Schon Kinder führen Selbstgespräche 

Sorgen, ob die beiden „normal“ sind, muss sich niemand machen. Denn laut Expertenschätzungen unterhalten sich Männer und Frauen rund ein Drittel der Stunden am Tag mit sich selbst. „Entweder in Form von inneren Monologen oder als laute Selbstgespräche“, erklärt Mag. Ralph Lenzenweger, Klinischer- und Gesundheitspsychologe am Kepler Universitätsklinikum Linz.  

Das beginnt bereits in der Kindheit. „Ungefähr mit zwei Jahren fängt der Mensch an mit sich selbst zu plaudern“, sagt der Experte. Im Alter zwischen drei und fünf Jahren reflektiert etwa jedes zweite Kind vor dem Einschlafen den vergangenen Tag in Form von Selbstgesprächen. „Dabei verarbeitet es seine Erlebnisse und ordnet seine Gefühle.“ Kinder denken auch gern laut, wenn sie Probleme und Rätsel lösen. Dass das kein Fehler ist, zeigt eine amerikanische Studie. Wissenschaftler fanden nämlich heraus, dass Kinder, die dabei laut reden, eine Aufgabe schneller durchschauen als jene, die ruhig bleiben.  

„Ab einem Alter von sechs Jahren ist zu beobachten, dass Kinder beim Lösen von Problemen zunehmend leiser werden. Eine mögliche Erklärung dafür könnte die Zunahme von Schamgefühlen im Laufe der Entwicklung sein. Bei Erwachsenen dominieren im Alltag daher eher innerliche Selbstgespräche“, so Mag. Lenzenweger.  

Erhöhte Merkfähigkeit und Motivation 

Dabei können Selbstgespräche positiv und gesund sein. Denn das laute Reden fördert die Konzentration – zum Beispiel, wenn man Autoschlüssel sucht oder Regale zusammenbaut – und erhöht die Merkfähigkeit, wenn es eine Handlung begleitet. Wenn man mit sich selber spricht, können Gedanken strukturiert, Gefühle bewältigt und Entscheidungen klarer getroffen werden.  

„Come on!“ – auch als Motivationsgeber für Sportler eignen sich Selbstgespräche. „Tennisspieler zum Beispiel versuchen sich anzuspornen, indem sie sich selbst laute kurze, ermutigende Botschaften zurufen“, so der Spezialist. Leichtathleten oder Skifahrer können sich beim Training ihrer komplexen Bewegungsabläufe unterstützen und sich Mut zureden – „Du bist gut!“, „Nur mehr zwei Kilometer!“ Kurz gesagt: Selbstgespräche helfen, die Selbstsicherheit und den Selbstwert zu steigern.  

Durchspielen schwieriger Situationen 

Von der Kommunikation mit sich selbst profitieren auch Menschen, die einen wichtigen Termin wie ein Vorstellungsgespräch, eine Präsentation oder eine private Aussprache vor sich haben. Ein „Probehandeln im Geiste“ – also das Durchspielen der bevorstehenden schwierigen Situation – fördert das Gefühl der Kontrollierbarkeit und hilft Stress zu vermeiden. Mag. Lenzenweger: „Durch diese kognitive Bewältigungsstrategie ist man viel besser vorbereitet.“ 

Fast untrennbar miteinander verbunden sind Autofahren und Selbstgespräche. Denn wahrscheinlich wurde schon jeder Lenker – und jede Lenkerin – einmal wegen eines „Gegners“ im Straßenverkehr im wahrsten Sinn des Wortes laut. „Im ersten Moment kann das Ärgern und laute Schimpfen erleichternd sein. Dann ist es allerdings sinnvoll, sich selbst zu sagen: Ich lass mich doch durch dich nicht aus der Ruhe bringen. Wer nämlich längerfristig immer wieder in die Luft geht, verstärkt sein Stresspotential“, warnt der Psychologe.  

Einsame und ältere Menschen führen häufiger Selbstgespräche als andere. „Wenn etwa Senioren allein leben und wenig Sozialkontakte haben, kann ihr Kurzzeitgedächtnis nachlassen“, so Mag. Lenzenweger. „Automatisch ablaufende Selbstgespräche trainieren dagegen Gedächtnis und Konzentration. Wer sich etwa laut vorsagt, dass er jetzt Butter holt, wird nicht in den Kühlschrank starren und überlegen, was er denn dort eigentlich wollte.“  

Schützen Selbstgespräche vor Demenz? Dazu der Experte: „Grundsätzlich ist es wichtig, dass Betroffene geistig und sozial aktiv bleiben. Dabei stellen parallelablaufende zumeist unbewusste Selbstgespräche einen weiteren positiven Faktor dar. Ein fortschreitender Abbau der Gehirnfunktionen kann aber bei einer bestehenden Demenz nicht verhindert, sondern lediglich verlangsamt werden.“  

Problematische Selbstgespräche 

Vermeintliche Selbstgespräche führen oft Menschen in akuten psychotischen Zuständen. Sie unterhalten sich mit Personen, die nicht vorhanden sind und reagieren dabei auf Stimmen, die nur sie hören. Mag. Lenzenweger: „Grundsätzlich sind das keine richtigen Selbstgespräche, da die Betroffenen aus ihrer Wahrnehmung heraus ja mit anderen reden. Außenstehende bemerken in der Regel relativ schnell, dass es sich hier nicht um herkömmliche Selbstgespräche, sondern um eine Reaktion auf akustische Halluzinationen handelt.“ 

Häufiger sind problematische Selbstgespräche bei sozialen Ängsten oder Depressionen. Selbstgespräche und Gedanken der Betroffenen sind fast nur von sorgenvollen und selbstabwertenden Inhalten geprägt: „Das werde ich nie schaffen!“, „Wie wird das werden?“, „Jetzt passiert mir das schon wieder!“ Diese nicht hilfreichen Selbstgespräche und inneren Monologe beeinflussen die Stimmung und das Selbstwerterleben nachdrücklich. „In diesem Fall kann eine psychologische oder psychotherapeutische Behandlung eine Verbesserung der Lebensqualität erzielen“, sagt Mag. Lenzenweger.  

Gezielte Selbstinstruktionen 

Ein Baustein der Therapie bei Angststörungen, Depressionen oder Abhängigkeitserkrankungen ist die Etablierung von gezielten Selbstinstruktionen – vor („bleib ruhig“), während („du schaffst es“) und nach („das hast du gut gemacht“) herausfordernden Situationen.  

Mag. Lenzenweger: „Für das Abschließen des Tages kann es sinnvoll sein, den Tag in Form von inneren Monologen Revue passieren zu lassen. Nicht direkt kurz vor dem Einschlafen, aber schon am späteren Abend. Dabei sollte man sich auch vor Augen führen, was einem gut gelungen und was gut gelaufen ist.“ Da Stress im Allgemeinen ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen ist, empfiehlt der Experte ein Bewältigungsprogramm. „Beim so genannten Stressimpfungstraining nach Meichenbaum werden stressverstärkende Gedanken durch hilfreiche Selbstinstruktionen positiv beeinflusst.“

 

 

Cornelia Schobesberger
April 2023


Bild: fizkes_shutterstock



 

 

Zuletzt aktualisiert am 14. April 2023