Die bewegte Zukunft

 

Prof. Mag. Peter Zellmann leitet das Wiener „Institut für Freizeit- und Tourismusforschung“ und ist vor allem in der empirischen Sozial- und Zukunftsforschung tätig (li.).
Univ.-Prof. Dr. med. Jürgen Scharhag ist Leiter der Abteilung für Sportmedizin & Prävention an der Universität Wien (re.).

+ DI Iris Kaltenegger ist Architektin und Generalsekretärin der Städtebauinitiative EUROPAN Austria (hat krankheitsbedingt virtuell an unserer Expertenrunde teilgenommen).

 
 
 
 

DISKUSSION. Welchen Einfluss hat der Klimawandel oder die Künstliche Intelligenz auf die Art, wie wir uns bewegen? Wie schaffen wir es, dass unsere Kinder wieder aktiver werden?

Das Schönbrunner Palmenhaus lädt zu einem Spaziergang ein. Der perfekte Rahmen für unsere Diskussion zum Thema Bewegung der Zukunft: Freizeitforscher Prof. Mag. Peter Zellmann sowie Sportmediziner und Facharzt für Innere Medizin Univ.-Prof. Dr. Jürgen Scharhag spazierten zwischen Zitrusbäumen, Farnen und Kamelien. Iris Kaltenegger, MArch, Architektin und Generalsekretärin der Städtebauinitiative EUROPAN Austria, nahm virtuell teil.


Was motiviert Menschen zur Bewegung?

Scharhag: Es ist wohl das Faktum, dass körperliche Aktivität das Leben verlängert. Eine Studie aus Taiwan zeigt: 10 bis 20 Minuten pro Tag senken das Sterberisiko, je nach Intensität, zwischen 10 und 30 Prozent.

Zellmann: Doch in den vergangenen 30 Jahren haben sich viele von uns die Bewegung quasi abgewöhnt – aller medizinischen Warnungen zum Trotz. Passiver Medienkonsum prägt unser Freizeitverhalten.

Kaltenegger: Dabei könnte es so einfach sein: Wenn Hinausgehen und Aktivitäten zur Abdeckung von Alltagsbedürfnissen attraktiv sind, wird Bewegung selbstverständlich. Dafür braucht es ein radikales Umdenken – vor allem in der Stadtplanung.


Die vergangenen Jahre haben vieles verändert. Etwa die Pandemie, die Digitalisierung, Homeoffice etc. Was bedeutet das für unser Thema Bewegung?

Kaltenegger: Seit der Pandemie und durch die Digitalisierung arbeiten wir flexibler. In Zukunft könnte es an Plätzen in der Stadt, in Parks, entlang von Flüssen oder von Wanderwegen attraktive Sitzlandschaften zum Arbeiten geben. Dorthin kommt man via Öffis, Rad oder zu Fuß – mit Badeanzug, Yogamatte oder Laufsachen im Gepäck.

Scharhag: Firmen wie Apple bauen Bewegung bereits in den  Arbeitsalltag ein.

Zellmann: Viele Versuche in dieser Richtung haben sich in Österreich leider nicht bewährt. Die Menschen haben das Angebot nicht angenommen.

Scharhag: Weil zu aufwendig! Bewegung im Büro muss niederschwellig sein. Zum Beispiel zehn Minuten Gymnastik, fünf Mal die Woche.

 

Kommentar

Gemeinsam zum Erfolg!

Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein möchten, brauchen motivierte, gesunde Mitarbeitende. Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) setzt da an, und gemeinsam mit der ÖGK werden individuelle gesundheitsfördernde Programme entwickelt. Der Kreativität sind in der Umsetzung keine Grenzen gesetzt, wie tausende Beispiele aus der betrieblichen Praxis zeigen. Gesunde und wertgeschätzte Mitarbeitende leisten tolle Arbeit und stärken den Unternehmenserfolg. Meine Empfehlung daher: die Erstberatung durch die ÖGK.

Matthias Krenn ist Obmann der ÖGK.

 

Wie sieht die bewegte Zukunft in der Stadt aus?

Scharhag: In Kopenhagen sind viele mit dem Fahrrad unterwegs. Bei uns fehlen gute und sichere Radwege. Wenn ich mir die Strecke von meiner Wohnung ins Büro ansehe, auf der es vor einem Jahr einen tödlichen Fahrradunfall gab, ist mir das zu gefährlich. Die Stadtplanung muss den Ausbau der Radwege optimieren.

Zellmann: Die Stadtplanung muss die Politik ganz generell in die Pflicht nehmen: in puncto Innenstadt für Fußgeher und Radfahrer, ergänzt durch funktionierenden öffentlichen Verkehr.

Kaltenegger: Die Anzahl von Fahrradfahrenden hat stark zugenommen, nicht zuletzt durch E-Bikes. Wir benötigen sichere Radwege mit Bahnen für mehrere Geschwindigkeiten, Stellplätze und Rad(Hoch)-Garagen. Dazu breite beschattete Gehbereiche mit Rastplätzen. Die Mobilität kann aber nicht alleine gedacht werden, Stadt ist ein komplexes System.



Wechseln wir von der Stadt auf das Land …

Kaltenegger: Ich bin in Salzburg-Land aufgewachsen und ging zu Fuß zur Schule, zum Bus oder fuhr mit dem Rad zu Freunden. Heutzutage brauchen Menschen hier für fast alles ein Auto. Kleine Geschäfte sind großen Einkaufszentren außerhalb des Orts gewichen – mit deutlich längeren Wegen.

Scharhag: Ich bin in Mainz groß geworden und mit elf in den Schwarzwald gezogen. Prägende Jahre, denn wir hatten einen Skihang, sind Fahrrad gefahren oder haben im Wald Schnitzeljagd gespielt. Bewegung war selbstverständlicher Teil des Alltags.

Zellmann: In vielen ländlichen Gebieten gibt es nach wie vor ein paradiesisches Freizeitangebot. Etwa wenn Berge direkt vor der Haustür sind …



Große Unterschiede zwischen Stadt und Land also …

Zellmann: Ja. In Österreich haben wir eine Zweiklassengesellschaft: Die Lebensstile im alpinen Raum und in Ballungszentren entwickeln sich auseinander. Am Land ist es einfacher, sich im Freien zu bewegen, doch bei Kultur und Bildung haben es ländliche Gegenden schwerer.

 

Kommentar

150 Minuten Bewegung für Ihre Gesundheit

Bewegungsmangel ist ein ganz wesentlicher Krankmacher. So gilt etwa langes Sitzen als das „neue Rauchen“. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt daher mindestens 150 Minuten Bewegung und zwei Krafteinheiten in der Woche. Die ÖGK möchte Sie dabei unterstützen, in Bewegung zu kommen. Zum Beispiel mit unserem Programm „Gesunder Rücken“, das Kräftigungsübungen für Ihre Rückengesundheit vermittelt. Sie finden in dieser Ausgabe unseres ÖGK-Magazins zudem noch viele Anregungen, sich moderat zu bewegen.

Andreas Huss, MBA, ist Obmann der ÖGK.

 



Die durch den Klimawandel bedingte Hitze macht Bewegung nicht einfacher …

Scharhag: Ja. Ein drastisches Beispiel: Bei der WM 2019 in Doha startete der Leichtathletik-Marathon um elf Uhr nachts. Für die Maximalleistung ist Hitze ungünstig. Besser ist Sport am Morgen oder Abend. Auch die Ozonbelastung ist zu beachten.

Zellmann: Es braucht Grünzonen, Nebelduschen etc. Im Sommer können wir auf klimatisierte Fitnessstudios ausweichen. Oder den Stepper in den Keller stellen – wenn wir das wollen.

Kaltenegger: Wollen wir die Stadt kühlen, ist eine Entsiegelung essenziell. Neben dem Offenhalten von Luftschleusen für den Kaltluft-Transport. Auch die Begrünung mit geschlossenen Blätterdächern hilft dem urbanen Mikroklima.

Scharhag: Für eine Londoner Studie liefen Jogger an einer vielbefahrenen Straße oder im Hyde Park. In Letzterem waren Feinstaubbelastung und ungünstige Gefäßreaktionen geringer. Für die Psyche ist Natur ebenfalls besser. Ältere Menschen sind weniger krank, wenn sie in einer grünen Umgebung wohnen. Gehen sie nur um den Betonblock, ist das für die Gesundheit weniger gut. Wahrscheinlich sind wir im Hirn noch immer Affen, die bei Bewegung im Grünen besser entspannen.




Ein Auftrag an die Politik?

Zellmann: Die Politik muss auf die Bedürfnisse der Menschen reagieren. Die Zukunft der Bewegung wird von uns gestaltet.

Scharhag: Wichtig ist, schon bei den Kleinsten anzusetzen. Sie sollten mit Spaß und Freude körperlich aktiv werden. Doch das darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.

Zellmann: Richtig! Ganztägige Schulformen bieten etwa die Möglichkeit, neben Bildung und Kultur auch Aktivität zu vermitteln. Ideen gibt es viele, aber politische Rahmenbedingungen behindern uns.




Ist der soziale Aspekt beim Sport wichtig?

Scharhag: Sehr sogar! Alleine halten viele nicht durch.

Zellmann: Freizeitsportler sind oft Individualisten. Dabei ist ein Leistungserlebnis in der Gruppe schöner. Hier sind die Vereine gefordert, neue und zeitgemäße Angebote zu entwickeln.




Daneben boomt die Selbstoptimierung: immer höher, schneller, weiter. Sinnvoll?

Scharhag: Regelmäßiges Training ist gut. Die Extreme gefallen mir aber nicht. Wenn jemand mit 50 dem Alter davonrennen will und sich in Stammtisch-Bierlaune das Ziel setzt, in vier Wochen einen Marathon zu laufen, ist das unrealistisch und ungesund.

 

Kommentar

ÖGK fördert Bewegung im Alltag

Ich fahre fast immer mit dem Rad ins Büro, was mir nicht nur den morgendlichen Stau erspart, sondern auch Bewegung an der frischen Luft bringt. Diese Routine verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen: Sie fördert die Bewegung im Alltag, schützt die Umwelt und steigert das Wohlbefinden – gerade in städtischen Gebieten. Die ÖGK unterstützt ein bewegtes Leben, um die körperliche und geistige Fitness zu stärken und die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher zu verbessern – etwa mit der Initiative „ÖGK bewegt“.

Mag. Moritz Mitterer ist Vorsitzender der Hauptversammlung der ÖGK.

 


Welche Rolle spielen Fitnesstracker und Smart Watches?

Scharhag: Diese Geräte sind gute Hilfen für unerfahrenere Sporttreibende ohne Personal Trainer. Die Geräte zeigen: Jetzt ist die Herzfrequenz zu hoch. Viele trainieren zu intensiv. Aber wir müssen aufpassen, es damit nicht zu übertreiben. Ansonsten macht uns das zu Puls-Neurotikerinnen und -Neurotikern.




Wird Künstliche Intelligenz (KI) in Sachen Bewegung in Zukunft eine größere Rolle spielen?

Scharhag: Für Freizeitsport braucht es keine KI. Es reicht, zu Fuß zu gehen statt Auto zu fahren oder die Stiege statt des Lifts zu benutzen.

Zellmann: Aber vielleicht erleben wir dank der KI bald den Roboter als Fitnesstrainer (lacht) …


TEXT Karin Lehner

Fotos: Stefan Diesner, Petra Rautenstrauch, Martin Biller / ÖGK, Martin Biller / ÖGK, Wirtschaftsbund
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