Besser essen – aber wie?

 

Priv.-Doz. Dr. Karin Schindler (links), Adipositas- und Public-Health-Expertin, Wissenschaftlerin an der MedUni Wien und ehemalige Mitarbeiterin im WHO-Europa-Büro in Dänemark sowie im Gesundheitsministerium

Mag. (FH) Verena Pelikan, M.A. (Mitte),Expertin für digitale Kommunikation, Kulinarik-Influencerin und Kochstudio-Betreiberin

Dr. Eva Winzer (rechts), Ernährungswissenschaftlerin am Zentrum für Public Health der MedUni Wien

 
 

Ernährungskompetenz steigern – aber wie? In Österreich ist das Wissen um gesunde Ernährung ausbaufähig. Drei Expertinnen diskutieren, was Politik, Schulen, Gesellschaft und jede(r) Einzelne tun können, damit wir uns gesünder ernähren.


Der Gastgarten des Stöckl im Park in Wien-Landstraße ist mittags gut besucht. Rundherum duftet es nach Schweinsbraten, gebackenen Champignons oder Strudel. Salat wird nur von wenigen bestellt. An unserem Tisch wird dennoch – oder gerade deshalb – über Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungskompetenz diskutiert: Public-Health-Expertin Dr. Karin Schindler, Dr. Eva Winzer vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien sowie Kulinarik-Influencerin Mag. Verena Pelikan, M.A.

Woran liegt es, dass sich Österreicherinnen und Österreicher im internationalen Vergleich recht ungesund ernähren?

WINZER: Das Angebot von wenig gesundheitsförderlichen Produkten im Supermarkt und auf Social Media ist enorm groß. Weiters gibt es viele Ernährungstrends und -ideologien. Lactose soll schlecht sein, Gluten ebenfalls etc. Die Wissenschaft kommt mit dem Erklären gar nicht mehr hinterher.

Was könnten Anreize für gesundes Essen in Kantinen, Schulen & Co. sein?

WINZER: Viele Kantinen bieten qualitativ gutes und zugleich kostengünstiges Essen an. Aber sie brauchen finanzielle Zuschüsse vom Staat oder den Ländern. Wichtig ist auch die Schulung von Köchinnen und Köchen, damit sie eine gesunde Mischkost mit pflanzenbasierten und vegetarischen Optionen anbieten können. Außerdem sollte Obst im Angebot präsenter sein statt Süßigkeiten.

SCHINDLER: Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Europäischen Garantie für Kinder ist als Ziel eine kostenlose Mittagsmahlzeit für alle Kinder bis 2030 formuliert und wird bereits in wenigen Bundesländern, etwa Wien, schrittweise eingeführt. In Wien ist das Mittagessen an allen ganztägig geführten offenen Pflichtschulen seit September 2023 kostenlos. Laut einer Umfrage bei Schülerinnen und Schülern an Wiener Pflichtschulen wünschen sich die meisten mehr Vegetarisches und Regionales. Und viele würden gerne kochen oder es lernen. Doch dafür braucht es Küchen, die es fast nirgends gibt.

WINZER: Im Kindergarten meiner Tochter sind eine gesunde Jause und das Mittagessen inkludiert. Dort werden sogar Rote Rüben angeboten, die nicht alle Kinder mögen, aber immerhin probieren sie sie. Aber Kindern ein gesundes Mittagessen anzubieten, kann schwierig sein. Etwa wenn Eltern ihre Kinder zu Mittag aus dem Kindergarten abholen müssen. Neben dem Jobstress bleibt dann oft nur Zeit für schnelle Gerichte, die jedoch weniger gesundheitsförderlich sind.

PELIKAN: Leider kommt das Essen oft aus großen Kantinen oder Gasthäusern und von Köchinnen sowie Köchen, die in puncto gesunde Kost ungeschult sind.

 

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Gesunde Ernährung beginnt schon im Bauch der Mama

Gerade bei Kindern werden Gewohnheiten für das spätere Leben geprägt. Gesundes Essen muss daher an Schulen und in Kindergärten selbstverständlich sein. Essen darf aber auch Genuss sein, etwa als wertvoller Teil des Familienlebens. Trotzdem muss der gesundheitliche Aspekt bewusst gemacht werden. Die ÖGK setzt in ihren Präventionsprogrammen bereits bei Kindern und Jugendlichen an. Aber auch die Politik und die Lebensmittelindustrie sind gefordert, die oft auch mit ungesunden Lebensmitteln Geschäfte machen.

Andreas Huss, MBA, ist Obmann der ÖGK.

 

Wie kann das geändert werden?

SCHINDLER: Mit Zertifizierung, Qualitätssicherung und Kontrolle. Das Gesundheitsministerium definierte gemeinsam mit den Bundesländern Qualitätsstandards. Die sollten nun bekannt gemacht und umgesetzt werden.

Benötigen wir auch das Schulfach Ernährungslehre?

PELIKAN: Ja. Als ich bei uns auf dem Land in der Mittelschule war, gab es das. Wir lernten Grundsätzliches zum Thema Ernährung und klassische Gerichte. Doch die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten belächelten uns, weil sie den Wert nicht erkannten. Dabei sind in meinen Backkursen Kinder immer vom Eiertrennen begeistert, weil sie das daheim nie machen. Doch gesunde Ernährung sollte schon im Kindergarten beginnen. Hier gibt es zur Jause meist nur Äpfel. Dabei würden Kinder viel ausprobieren, zum Beispiel Marillen zur Saison.

SCHINDLER: Stimmt. Aber das ist auch eine Kostenfrage. Äpfel sind billig, Beeren fast unbezahlbar. Zur Verbesserung der Ernährungskompetenz könnten wir auch die Projektwoche vor den Ferien nutzen. Warum nicht in die „Schule des Essens“ gehen, miteinander kochen und lernen, wie Blau- und Himbeeren schmecken?

 

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Ernährung als Basis der Gesundheit

Eine ausgewogene Ernährung ist das zentrale Rezept für Wohlbefinden und Gesundheit, denn individuell und gesellschaftlich spielt gesunde Ernährung eine große Rolle bei der Vermeidung von Diabetes und ernährungsbedingten Folgeerkrankungen. So kann jede und jeder einen Beitrag zur eigenen Gesundheit leisten. Die dafür notwendige Bewusstseinsbildung beginnt zu Hause und reicht über das Essen in Kindergarten und Schule bis ins Erwachsenenalter. Je früher verinnerlicht, umso bunter und vielseitiger wird auch der persönliche Speiseplan.

Mag. Peter McDonald ist Obmann der ÖGK.

 

Welchen Einfluss hat Social Media?

WINZER: Dazu haben wir eine Studie gemacht, die vom Gesundheitsministerium unterstützt wurde. Sie kommt zum Ergebnis, dass drei Viertel der auf Social Media gezeigten Produkte nicht gesundheitsfördernd sind. Andere Studien zeigen, dass sich 80 Prozent der Jugendlichen Gesundheitsinformation via Social Media holen, aber nur zwölf Prozent erkennen Werbung oder Produktplatzierungen. Wir haben Aufholbedarf bei Ernährungs- und Medienkompetenz!

SCHINDLER: Für eine Studie im Auftrag der Gesundheit Österreich befragten wir 2021 Erwachsene zum Thema Ernährungsinformationen. 38 Prozent sagten, Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von Werbung und vertrauenswürdiger Information zu haben. Auch Infos auf Lebensmittelverpackungen können viele nicht einordnen. 38 Prozent scheiterten an Kalorien- und Nährwertrechnungen. Influencerinnen und Influencer könnten hier Aufklärungsarbeit leisten.

PELIKAN: Ja, aber hier gilt das Motto „Wer zahlt, schafft an.“ Große Firmen locken teils mit XL-Budgets und liefern gleichzeitig ein straffes Briefing in puncto Content-Erstellung.


Welche Rolle könnten gesellschaftliche Vorbilder spielen? Brauchen wir einen österreichischen Jamie Oliver?

SCHINDLER: Ein Ronaldo wäre besser. Er räumte bei einem Mediengespräch bei der Fußball-EM Softdrinkflaschen weg und stellte Wasser hin. Er ist in Portugal ein Role Model für Public Health.

PELIKAN: Aus Erfahrung weiß ich, dass Werbetreibende sich sportliche, hübsche, breit aufgestellte Influencerinnen sowie Influencer suchen. Sie bezahlen dann etwa eine F.-X.-Mayr-Kur. Das Ergebnis? Der Influencer oder die Influencerin bewirbt dann einen Tag die Diät und am nächsten ein in Plastik verpacktes Gebäck mit Nuss-Nougat-Füllung. Das halte ich für würde- und haltungslos.

 

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Genuss mit Vielfalt und Tradition

Als gebürtige Kärntnerin steht für mich die Alpen-Adria-Küche an vorderster Stelle. Geprägt von österreichischen, italienischen, slowenischen und kroatischen Einflüssen setzt sie auf Zutaten aus dieser Region wie Fisch, Fleisch, Teigwaren, Käse, Kräuter und Olivenöl und kombiniert alpine und mediterrane Aromen.
Die Alpen-Adria-Küche ist ein Genuss für alle, die Vielfalt, Tradition, hochwertige Zutaten und somit eine gesunde Ernährung schätzen.

Mag. Bettina Wucherer ist Vorsitzende der Hauptversammlung der ÖGK.

 


Brauchen wir steuerliche Anreize für gesunde Ernährung – etwa eine Zuckersteuer?

SCHINDLER: Ja, denn in England zeigten sich nach deren Einführung positive Effekte auf die öffentliche Gesundheit.

WINZER: Auch wenn das in Zeiten der Teuerung niemand gerne hört: Auch wir brauchen eine Zuckersteuer. Aber die Einnahmen sollten zweckgebunden sein und gleichzeitig Obst, Gemüse sowie Hülsenfrüchte günstiger werden.

SCHINDLER: Hier käme sofort der Aufschrei „Nanny State“. Doch der Staat will uns nicht vorschreiben, was wir essen sollen. Wir  brauchen schlicht Anreize für Veränderung.


Im Regierungsprogramm steht die Kennzeichnung von Lebensmitteln, der Nutri-Score. Ein positives Signal?

WINZER: Ja, und ich würde mir wünschen, dass er kommt. Der Nutri-Score könnte im Supermarkt etwa bei der Auswahl von Keksen helfen, also innerhalb einer Lebensmittelgruppe. Die meisten würden wohl eher zu C statt E greifen. Doch parallel braucht es die Erklärung der Kennzeichnung, denn Studien zeigen, dass viele die Nährwertkennzeichnung nicht verstehen.

SCHINDLER: Hier braucht es die Info, dass es um Vergleiche innerhalb einer Lebensmittelgruppe geht. Wenn ein Produkt den Nutri-Score B hat, ist es nicht automatisch ein gesundes Produkt.


Werden wir uns 2040 gesünder ernähren?

WINZER: Als Wissenschaftlerin tue ich alles dafür und hoffe es. Es braucht aber auch andere Akteure, den Mut zur Umsetzung von Maßnahmen und Innovationsgeist, um neue Wege zu gehen.

SCHINDLER: Ich bin skeptisch. Bei der Gesundheitskompetenzbefragung 2021 gab es nahezu keine Verbesserung im Vergleich zu 2011. Wir sollten stärker kommunizieren, dass gesundes Essen auch schmackhaft ist. Und statt des abstrakten Herz-Kreislauf-Risikos z. B. die Zahngesundheit in den Vordergrund stellen. Zähne mit Karies aufgrund von zu viel Zucker verstehen alle.

 

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Gesunde Ernährung ist (auch) Genuss

Gesunde Ernährung ist in der Umsetzung oft kompliziert: Zeitmangel, Stress und verfügbare Angebote machen es schwer. Daher: Wir brauchen mehr einfache und praktische Lösungen – gerade in Schulen und Kantinen, aber auch für uns zu Hause. Ich finde gut, dass es mehr Aufklärung geben soll, damit man nicht ständig von Ernährungstrends verwirrt wird. Ich würde mir auch wünschen, dass gesunde Ernährung nicht als Verzicht, sondern als Genuss vermittelt wird.

KommR. Matthias Krenn ist Vorsitzender der Hauptversammlung der ÖGK.

 

TEXT Karin Lehner

Foto: Martin Biller / ÖGK, Stefan Diesner, GPA
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Mmmmhhhh ...das schmeckt!

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