Immunboost durch Impfen

 

Prof. Dr. Daniela Angetter-Pfeiffer (links), Wissenschaftshistorikerin und Senior Scientist an der Akademie der Wissenschaften

Dr. Gerhard Grässl (Mitte), Kinderarzt aus Tirol

Univ.-Prof. DDr. Eva Schernhammer (rechts), Leiterin der Abteilung Epidemiologie an der MedUni Wien

 
 

Impfgipfel. Impfungen gehören zu den größten Errungenschaften der Medizingeschichte. Dennoch herrscht teilweise Skepsis. Gerade auch in Österreich. Wir haben mit zwei Top-Forscherinnen und einem Kinderarzt gesprochen.


In der Sonderschau „Erkundung des Unsichtbaren“ dreht sich im Technischen Museum Wien bis Ende Dezember alles um Viren und Bakterien. Der perfekte Rahmen, um zu Beginn der saisonalen Covid-19- und Grippe-Wellen die gesundheitlichen Wirkungen von Impfungen zu erklären. Zum Gespräch trafen einander Univ.-Prof. DDr. Eva Schernhammer, Leiterin der Abteilung Epidemiologie an der MedUni Wien, Prof. Dr. Daniela Angetter-Pfeiffer, Wissenschaftshistorikerin und Senior Scientist an der Akademie der Wissenschaften, und der auf Impfungen spezialisierte Tiroler Kinderarzt Dr. Gerhard Grässl.

Warum sind Impfungen wichtig?

SCHERNHAMMER: Sie schützen vor schweren Erkrankungen oder dem Tod. Außerdem helfen sie bei der Eindämmung bzw. Verhinderung von Epidemien wie Pandemien und sind in vielen Bereichen kosteneffektiv. Die Behandlung von Folgeerkrankungen ist teuer.

ANGETTER-PFEIFFER: Impfungen stärken das Immunsystem, weil sie ihm helfen, Krankheitserreger abzuschwächen. Wie gut das funktioniert, zeigt ein Blick auf die rigorosen Impfaktionen gegen Pocken, heute ausgerottet.

GRÄSSL: Impfungen retteten in den letzten 50 Jahren weltweit mehr als 150 Millionen Leben. Als Kinderarzt will ich etwa junge Menschen vor gesundheitlichen Folgen von RSV (respiratorisches Synzytial-Virus) bewahren. Die Impfung verhindert eine schwere Bronchitis sowie Asthmaerkrankungen. Kinder, die ohne Impfung schwer an Influenza erkranken, haben wiederum ein massiv erhöhtes Diabetes-Typ-2-Risiko.

 

Kommentar

Lassen Sie sich unbedingt impfen

Pocken und Kinderlähmung sind schwere Erkrankungen die in Österreich weitgehend als ausgerottet gelten. Nicht zufällig, sondern durch Impfungen. Es ist in unserem solidarischen Gesundheitssystem ein klares gesundheitspolitisches Ziel aller Partner, diese Impfungen unkompliziert und kostenfrei anzubieten. Nicht nur die Influenza- und die HPV-Impfung (bis 30 Jahre) sind gratis, sondern seit November zusätzlich die Impfungen gegen Pneumokokken und gegen Gürtelrose (ab 60 Jahre). Mein Appell: Lassen Sie sich unbedingt impfen!

Andreas Huss, MBA, ist Obmann der ÖGK.

 

Warum ist Österreich dennoch ein Land der Impfmuffel?

ANGETTER-PFEIFFER: In der Naturmedizin und Kneipp-Szene gab es sie immer. Im 18. Jahrhundert wurde herumexperimentiert, das schürte Angst. Pocken-Impfstoffe wurden aus der Lymphe der Kuh gewonnen und im Oberarm eingeritzt. Blutete die Wunde stark, wurde das Sekret ausgeschwemmt, und Kinder erkrankten trotzdem. Wenn dann ein Immanuel Kant auftritt und sagt, wer sich impfen lässt, bekommt Euter oder Kuhhörner, kriegen medizinisch Ungebildete Panik. Auch Andreas Hofer verkündete im Heiligen Land Tirol, dass Menschen sich nicht impfen lassen dürfen, weil ihnen der Protestantismus eingeimpft wird. In der Mundpropaganda überwog das Negative.

Wie heute. Woran scheitert die Aufklärung?

SCHERNHAMMER: Bei der Zeckenimpfung gegen FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) klappte Werbung wunderbar, denn die Impfung schützt jede und jeden Einzelnen. Doch sobald es um Mensch-zu-Mensch-Übertragung geht, wird es kontroversiell. Vielleicht ist mein Erkrankungsrisiko geringer als mögliche Nebenwirkungen? Vielleicht muss ich Vulnerable (Menschen, deren Gesundheit empfindlicher ist als die anderer; Anm. d. Red.), etwa Angehörige einer Risikogruppe, nicht schützen, weil es in meinem Umfeld keine gibt? Hier ist Information nötig. Selbst für die Medizin ist Herdenimmunität nicht leicht greifbar.

 

Kommentar

Für sich, Gesellschaft und Gesundheitssystem

Impfen ist eine der bedeutendsten medizinischen Errungenschaften unserer Zeit. Es bietet Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und verhindert eine unkontrollierbare Ausbreitung von Infektionen. Es ist wichtig, dass wir diese wertvolle Ressource nutzen und jeder seinen Beitrag leistet – für sich und seine eigene Gesundheit sowie für die gesamte Gesellschaft und unser Gesundheitssystem. Die Gleichung ist einfach: Je umfassender das kollektive Bekenntnis zum Impfen, desto effektiver der Schutz vor vermeidbaren Krankheiten.

Mag. Peter McDonald ist Obmann der ÖGK.

 

Bitte um Ihren Erklärungsversuch.

SCHERNHAMMER: Impfungen sind vorbeugendes Training des Immunsystems, damit es sich im Notfall auskennt. So wie Feueralarm-Übungen in Unternehmen. Wenn ich richtig reagiere, schütze ich mich und andere. Herdenimmunität ist für Vulnerable wichtig und Junge, die noch nicht geimpft werden können.

GRÄSSL: Wobei die meisten Impfungen dem Eigenschutz dienen, etwa gegen Gürtelrose. Hier ersparen sich Menschen viel Leid und Geld. Doch bei Covid hieß es, wir impfen für andere. Das war schwierig, weil in Österreich der Sinn für Familie und Gemeinschaft nicht so stark ausgeprägt ist wie etwa in Südeuropa.

War die Pandemie ein Anti-Impf-Turbo?

SCHERNHAMMER: Sie war ein Verstärker. Hier gab es leider Widersprüche seitens Medien, Politik und Wissenschaft. Viele dachten, mit der Covid-Impfung werden wir das Virus los. Dabei reduziert sie zwar schwere Verläufe, unterbricht aber Infektionsketten nicht.

GRÄSSL: Interessanterweise wurde die Anti-Impf-Szene hier nicht größer. Sie liegt zwischen zwei und fünf Prozent. Aber die Skepsis nimmt zu. Doch diese Menschen können wir zum Spurwechsel motivieren. Das braucht eine bessere Gesprächsführung und viel Zeit. Leider haben aber gerade wir Hausärztinnen und -ärzte noch so viel anderes zu tun.

Wie kommen wir hier heraus?

GRÄSSL: Zum Aufräumen des Scherbenhaufens braucht es mehr als Impfkampagnen. Ich würde mit Aufklärung breiter und früher ansetzen, in Kindergarten und Schule.

ANGETTER-PFEIFFER: Erschwerend kommt dazu, dass Viren in unserer vernetzten Welt gerne reisen. Ohne Impfungen schleppen wir auch wieder z. B. Masern ein, die als ausgerottet galten. Also braucht es fundierte Gesundheitsinformation. Im Zuge der Tuberkulose-Impfung in den 1950er-Jahren bekamen Volkschülerinnen und -schüler Blätter mit Impfwerbung und zeigten sie zu Hause ihren Eltern.

 

Kommentar

Schritt für Schritt zu mehr Fitness im Winter

Winterfit bedeutet für mich, sich zu bewegen, soziale Kontakte zu pflegen und sich Zeit zu nehmen für eine heiße Tasse Tee. Winterfitness muss also nicht im Fitnessstudio beginnen, sondern im Alltag Schritt für Schritt und Schluck für Schluck. Regelmäßige Bewegung an der frischen Luft, eine ausgewogene Ernährung und kleine Rituale wie Teetrinken oder gemütliche Treffen mit Freunden können viel bewirken. Sie helfen, Stress zu reduzieren, das Immunsystem zu stärken und vielleicht bei dem einem oder anderen auch gegen den „Winterblues“.

Mag. Bettina Wucherer ist Vorsitzende der Hauptversammlung der ÖGK.

 


Sind Kinder für Impfinformation zugänglicher?

GRÄSSL: Ja. Bei mir war ein 14-jähriges Mädchen mit seiner Mutter. Als ich das humane Papilloma-Virus (HPV) ansprach, hatte die Mutter Bedenken gegen die Impfung. Doch die Tochter meinte: „Mama, ich will mich impfen lassen.“

Woran krankt die Aufklärung Erwachsener?

GRÄSSL: An fehlendem Wissen. Bei Masern sind nicht Junge das Problem – hier haben wir Durchimpfungsraten von 95 Prozent –, sondern 30- bis 50-Jährige, die dank Impfung nie erkrankten und aufgefrischt werden müssen.

SCHERNHAMMER: Leider haben viele Eltern bei ihren Kindern mehr Bedenken vor möglichen Impfnebenwirkungen als vor der eigentlichen Erkrankung. Ein Riesenproblem! So haben Masern ihren Schrecken verloren, weil viele niemanden mehr kennen, der die Krankheit durchmachte.

GRÄSSL: Auch die Schwere der echten Influenza ist vielen nicht bewusst. Sie kommen in meine Ordination und sagen: „ Ich hatte eh gerade die Grippe“, meinen aber den grippalen Infekt.

Antworten suchen viele auf Social Media.

GRÄSSL: Auf Social Media klickt keiner auf Storys, die zeigen, wie super die Corona-Impfung ist. Aber wenn ich lese, was dabei angeblich alles passiert, klicken alle. Viele Gruppen schüren hier Angst. Um gegenzusteuern, müssen Medizin und Wissenschaft aktiver werden.

SCHERNHAMMER: In sozialen Netzwerken wird das Verdrehen von Fakten mit Meinungsfreiheit verwechselt. Wer sagt, zwei plus zwei ist sechs, liegt falsch.

Könnten Impf-Fake-News die Demokratie gefährden? Wie sieht es mit Impfzwang aus?

SCHERNHAMMER: Ja. Die USA zeigen gerade, wie Grundwerte erschüttert und der Zugang zu Impfungen erschwert wird. Auch wir haben schon lange nicht mehr verhandelt, was Österreichs Gesellschaft will. Ist uns noch jedes Menschenleben gleich viel wert und sollte geschützt werden? Was sind wir bereit zu tun, damit Oma und Opa nicht an vermeidbaren Erregern sterben? Masken und Impfungen sind die Basis.

Zwang führt nur kurzfristig zu einer Erhöhung der Impfquote, doch langfristig zerstört er Vertrauen. Wenn das Prinzip nicht verstanden wird, erzeugt das Widerstand. Für Gesundheitsberufe wäre die Impfpflicht sinnvoll, um das Infektionsrisiko anderer zu reduzieren.

Welche Impfinnovationen sind zu erwarten?

SCHERNHAMMER: Impfstoffe gegen Borreliose befinden sich derzeit in Entwicklung. Außerdem stehen mRNA-Impfungen gegen verschiedene Krebsarten bevor, leiden aber unter dem Finanzierungseinbruch in den USA. Ein Drama. Sie könnten viel zum Positiven verändern.

 

Kommentar

Impfungen sind ein Stück Verantwortung

Impfungen sind wichtig – um mich selbst zu schützen und andere nicht anzustecken. Sie trainieren unser Immunsystem, damit wir im Ernstfall gewappnet sind. Trotzdem sind viele Menschen skeptisch. Oft wissen sie nicht genug oder haben Angst vor Nebenwirkungen. Deshalb ist es wichtig, gut und ehrlich aufzuklären. Was mich stört: Im Netz werden falsche Infos gestreut, die Vertrauen zerstören. Ich glaube nicht an Impfzwang. Stattdessen braucht es Geduld, Gespräche und verlässliche Infos.

KommR. Matthias Krenn ist Vorsitzender der Hauptversammlung der ÖGK.

 

TEXT Karin Lehner⎪Foto Daniela Matejschek, Martin Biller, ÖGK, GPA

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